02/07/2024 0 Kommentare
Invokavit: 2 Kor 6,1-10
Invokavit: 2 Kor 6,1-10
# Archiv Predigten 2018
Invokavit: 2 Kor 6,1-10
Liebe Gemeinde,
Geduld gehört nicht zu meiner Grundausstattung. Mir geht schnell etwas zu langsam, ich muss mich manchmal sehr zurückhalten, wenn die Dinge nicht so laufen, vor allem nicht so schnell laufen, wie ich mir das wünsche. Ich warte nicht gerne. Nicht auf eine Antwort, die ich brauche, nicht nur auf eine E-Mail mit der wichtigen Rückmeldung, die eigentlich längst da sein müsste, nicht darauf, dass jemand kommt, dessen Ankunft ich ersehne. Das ist nicht schön, aber wahr. Geduld gehört nicht zu meiner Grundausstattung.
Geduld gehört allerdings auch in unserer Gesellschaft gerade nicht zu den "must haves". Die lange Weile, das Ausharren müssen, der Verzicht auf die schnelle Befriedigung unserer Bedürfnisse, ist gerade auch in unserer Gesellschaft nicht on vogue. Egal, ob beim kleinen Hunger zwischendurch, beim Ratenkauf, bei eigentlich jahreszeitlich unzeitgemäßem Obst und Gemüse: geht nicht, gibt's nicht. Kann man alles auch jetzt und sofort haben. Wie heißt das Zauberwort: Sofort!
Dass Entwicklungen Zeit brauchen und manchmal eine lange Weile bis sie ans Ziel kommen, dass es eine eigene Schönheit hat, Zeiten und Räume zu kennen, die nicht ganzjährig und rund um die Uhr zu betreten sind und allein dadurch schon etwas Besonderes sind, etwas lang Erwartetes, etwas zum Drauf Freuen, all das ist gerade nicht besonders angesagt. Dass es wichtig sein könnte, die Fähigkeit zur Geduld zu lernen, ich glaube, sie keimt erst langsam wieder auf, weil an immer mehr Stellen deutlich wird, wie arm wir werden, wenn alles sofort und auf Knopfdruck zur Verfügung stehen muss und wir das Zuwarten, das Aushalten der Ungeduld, die Selbstdisziplin nicht mehr kennen, die ein Leben braucht. Wer das nie gelernt hat, der ist nicht selten eine ziemliche Herausforderung für seine Umwelt, wenn er den Kinderschuhen entwachsen ist.
Ein eigentlich simples Experiment, das Wissenschaftler einmal gemacht haben und aus dem sie weitreichende Schlüsse gezogen haben, die durch langjährige Untersuchungen bestätigt wurden, erzählt davon, was es bedeutet, Geduld gelernt zu haben oder eben nicht: Kindern wird ein Überraschungsei oder ein ähnlich begehrtes Stück "Schokolade" überreicht mit dem Hinweis: "Das ist deins, bitte. Wenn Du es schaffst, 15 Minuten zu warten bis du es aufisst, bekommst Du danach zwei davon." In der Werbung für besagtes Überraschungs-Ei konnte man zusehen, wie anstrengend es ist, diesen Genuss in Reichweite vor sich zu haben und nicht zuzugreifen. Es war amüsant zuzusehen, wie die Kinder mit sich kämpften, um nicht darüber herzufallen und es einfach aufzuessen. Und ehrlich gesagt, das kennen wir alle, oder?! In der Werbung, wie sollte es anders sein, konnte natürlich kein einziges Kind widerstehen.
Im wirklichen Experiment gab es durchaus Kinder, die das konnten, wenn auch nur wenige. Irgendwie wussten sie instinktiv, dass es nicht gelingt allein mit dem Vorsatz "Verzicht". Sie wussten, dass sie etwas anderes tun mussten, es eine aktive Fokussierung auf etwas anderes braucht, um dem Reiz der "Schokolade jetzt", der schrillen Stimme im Ohr nicht zu erliegen. Und so kann man im wirklichen Experiment kreative Methoden sehen, wie Kinder sich ganz bewusst weggedreht haben vom Objekt ihrer Begierde und etwas anderem zugewandt, wie sie erfolgreich versucht haben, die Zeit konstruktiv zu überbrücken. Wer wie das Kaninchen auf die Schlange – in diesem Fall die Schokolade - starrte, hat eher früher als später alles fahren lassen und sie sich in den Mund geschoben.
Die Forscher fanden in Langzeituntersuchungen heraus, dass die Kinder, die kurzfristig in der Lage waren, sich in Geduld zu üben, zu verzichten, auch langfristig diese Kompetenz in ihrem Leben zur Verfügung hatten. Sie waren in der Regel eher in der Lage, etwas auszuhalten, sich etwas zuzumuten, um etwas zu erreichen, was nicht sofort zur Hand war, sondern die Anstrengung, die Disziplin erforderte, einen einmal gefassten Entschluss auch wirklich durchzuhalten. In der Regel, und das erstaunt denn doch, finde ich, hatten sie – auch aufgrund dieser Fertigkeit - die höher qualifizierten Berufe und Arbeitsplätze, waren insgesamt zufriedener mit ihrem Leben und auch den Beziehungen, in denen sie lebten.
Die Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, die dazu gehören, wenn man ein hoch gestecktes Ziel erreichen will, Verzicht zu üben, um etwas zu bekommen, das man sich vorgenommen hat, sich nicht gleich entmutigen zu lassen, wenn die gewünschten Ergebnisse nicht sofort zur Hand sind und sich zeigen, das sind Fertigkeiten, die einem nicht nur helfen, wenn es um so ein kleines Experiment geht, sondern gerade, wenn es die Langstrecken im Leben geht. Um alles, was Zeit braucht und Geduld, um sich zu zeigen. Um alles, was nicht von heute auf morgen, sondern manchmal gerade erst auf die lange Strecke zeigt. Um alles, was Vertrauen braucht und Durchhaltekraft, gerade dann, wenn einem um das große Ziel dahinter bange ist, gerade dann, wenn man sich nicht mehr sicher ist, ob man es erreicht. Gerade dann, wenn die wirklich wichtigen Fragen auftauchen und von Antworten weit und breit noch nichts zu sehen ist:
Geht das gut? Finden wir wieder einen Weg zueinander? Werde ich das überleben? Was, wenn nicht? Was ist der Sinn vom Ganzen? Wo ist mein Platz? Was ist meine Hoffnung?
Wir wachsen an den Herausforderungen unseres Weges in die Tiefe, wenn wir nicht zu früh aufgeben und die schnellere Abkürzung nehmen, die sich immer anbietet und doch meist zu viel verspricht. Manche Erfahrung kann nur reif werden, wenn sie Zeit hat, sich zu entwickeln. Manche Wege entstehen erst, wenn man sie geht. Manches kann man nicht zwingen. Dem, was Zeit braucht und Muße, kann man nicht mit der Stoppuhr beikommen, dem Reifen kann man nicht beliebig nachhelfen.
Paulus ist in Korinth aber genau aus dieser Richtung angefragt. "Wo bleiben denn deine 'Ergebnisse', du Missionar des Herrn?" fragen sie ihn hämisch, "Vielleicht bist du doch nur ein Scharlatan!" Seine Gegner, und mittlerweile agitieren sie gegen ihn nicht mehr hinter vorgehaltener Hand, sondern stehen offen gegen ihn auf, proklamieren das "Heute, Jetzt, Hier!". Sie sind Charismatiker, die sich auf der Überholspur des Glaubens wähnen. All das, womit Paulus – und wir alle - noch immer zu kämpfen hat, das erklären sie für längst überwunden. Sie sind der Welt und ihrem Leid längst entkommen. Sie leben schon erleuchtet, behaupten sie, und deshalb kann das Leid der Welt, das Leid eines Lebens sie nicht mehr anfechten. Sie stehen darüber und lesen an den Erfolgen in ihrem Leben den Erfolg ihres Glaubens ab. Uns geht's gut. Und Dir? Wie läuft deine Sache denn? Warum werden deine Anhänger denn weniger? Warum gibt es eigentlich diese Spaltungen in Korinth, wenn du im Auftrag des Herrn unterwegs bist. Warum bist du eigentlich krank? Warum bist du noch immer nicht erlöst?
"Sie müssten mir erlöster aussehen, die Christen, wenn ich ihnen ihren Erlöser glauben soll", sagte schon Friedrich Nietsche. Dagegen hält Paulus: In allem, das mir - und dir - widerfährt, ist Gott am Werk, nicht nur in den Höhenflügen, nicht nur im Rausch des Glücks, in allem. Auch wenn es sich dir nicht sofort erschließt, gerade, wenn es sich dir nicht sofort erschließt. Um das aber begreifen zu können, brauchst du Geduld und nicht eben wenig. Um das begreifen zu können, musst du dranbleiben. Und nicht nur auf das starren, was schwer ist und undurchschaubar, rätselhaft und scheinbar ohne Sinn. Nicht dass es das Schwere, das Undurchschaubare, das Rätselhafte, das scheinbar Sinnlose in meinem Leben gibt, spricht gegen mich und alle, die gleiche Erfahrungen machen, sondern wie wir umgehen mit dem, was mir widerfährt, das erzählt von unserem Glauben und dem, was ihn erleuchtet. Aber dazu brauchst du Geduld.
Wir alle wissen, wie schwer das ist. Etwas auszuhalten, was über die eigene Kraft geht, Trauer zum Beispiel, Abschied von einem Menschen, den man sehr liebt. Verlassen werden, wenn man es nicht erwartet und das Scheitern nicht gewollt hat. Sich mit einer unheilbaren Krankheit, einer körperlichen oder seelischen Einschränkung, die einen richtig aus der Bahn wird, anfreunden zu müssen: setzten Sie ein, was auf Ihrem Teller liegt... Paulus spricht hier von: Trübsal und Nöten, in Ängsten, in Schlägen und Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten.
Darauf hoffen und daran glauben, dass das noch nicht alles ist, was man gerade übersehen kann. Darauf hoffen und daran glauben, dass Gott dem zu seiner Zeit einen Sinn geben wird, den auch ich verstehen, auch ich nachvollziehen kann. Darauf hoffen und daran glauben, heißt den Blick abwenden von dem, was gerade keinen Sinn macht in meinen Augen und mir den Mut zum Leben nehmen will und den Blick hinwenden zu dem, dem ich zutraue, mich und mein Leben wandeln zu können, und auch das zu verwandeln, was mich gerade derart bindet. In der griechischen Sprache heißt Geduld wörtlich übersetzt bedeutet: "Darunter bleiben"
Jörg Zink hat das einmal so beschrieben:
"Geduld ist die Kraft, bei einer Sache zu bleiben, bis sie ausgereift ist. Diese Geduld entsteht nicht dadurch, dass jemand sich zusammennimmt, sondern dadurch, dass er sich einem größeren fügt. Weil etwas Großes da ist, fügt sich das Kleine. Der kleine Wille bleibt unter dem großen, er bleibt gespannt auf den großen Willen hin. Solange Geduld das ist, trägt sie. Es geht nicht darum, den eigenen Willen zu brechen, sondern mit der vollen Kraft des eigenen Willens Etwas zu tragen, das größer ist: die Absicht Gottes."
So wird Paulus ein Diener Gottes, in dem er sagt: In allem, was mir widerfährt, in allen Höhen und Tiefen meines Lebens bleibe ich doch noch immer unter dem Willen Gottes und trage diesen Willen mit, weil ich fest daran glaube: Gott hat eine Absicht mit mir. Und zwar eine gute, auch wenn ich sie heute noch nicht begreife. Er kann absehen, wohin das führt, womit ich heute noch ringe. Er hat etwas mit mir vor, darauf vertraue ich und stelle mich in seinen Dienst. Darauf setze ich auch für mich. Dass seine Verheißungen auch mir gelten, auch dann, gerade dann, wenn mir darum bange ist.
Paulus hat gelernt, da nicht stehen zu bleiben, sondern weiter zu gehen; den Blick wegzulenken von dem, was ich gerade nicht begreifen kann hin zu Gott. Und er hat die Erfahrung gemacht, wie andere nach ihm genau so, dass er wandeln kann. In seiner Zeit, auf seine Weise, von Grund auf. Das hat er erlebt mit diesem Gott, und deshalb bleibt er dran und deshalb erzählt er von diesem Gott, der ihn gewandelt hat.
Hanns Dieter Hüsch sagt das auf seine Weise so:
"Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit. Mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, Das Elend und die Zärtlichkeit. Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich. Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zur Leich. Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen. Was macht, dass ich so unbeschwert, und mich kein Trübsal hält, weil mich mein Gott das Lachen lehrt, wohl über alle Welt."
Wenn Geduld bei Ihnen auch nicht zur Grundausstattung gehört, dann lernen sie es: um Ihretwillen. Und um Gottes Willen.
Amen.
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