02/07/2024 0 Kommentare
Estomihi: Amos 5,21-24
Estomihi: Amos 5,21-24
# Archiv Predigten 2018
Estomihi: Amos 5,21-24
Wir standen an einer kleinen Wasserstelle, von Gebüsch eng umwachsen, in einer Senke, die umgeben war von einer großen kargen Weide auf einer Bergkuppe in der Nähe des Dorfes Ludodolelo. Wir hatten erste Pläne entworfen, wie diese Quelle zu erschließen sei, welche Schritte die ersten zu sein hätten: Landrechte, Wasserqualität, Brandschutz, Anpflanzung von Urwaldbäumen – und was es alles zu bedenken gilt. Und wir beschlossen: im Sommer 2018 fangen wir an. Fangen an, eine Wasserquelle auszubauen, die die vier Dörfer Ludodolelo, Lupombwe, Iduda und Mbalache erstmals mit Wasser versorgen würde.
Ich selbst war ein wenig erschrocken über die Größe des Unterfangens und zugleich freudig aufgeregt. Und dann fing der Evangelist von Iduda, Ezekiel Msigwa an zu singen: Bwana u sehemu yangu / rafiki yangu wewe – Herr, mein Teil, mein Freund auch.
Wir, die Marafiki kennen es mittlerweile auswendig und so erklang froher Gesang aus jener Senke bei Ludodolelo. Als Psalm haben wir es gehört, als Glaubenslied wollen wir es gleich mit Ihnen und dem Gospelchor singen.
Liebe Gemeinde,
und nun konfrontiert der Prophet Amos mich mit einem Gottes-Ekel – Gott ekelt sich. Er ekelt sich vor einer, meiner?, Flucht in Selbstgerechtigkeit, in eine Feigenblatt-Schein-Gerechtigkeit, in eine Ausrede-Heimat, in der es sich behäbig gemütlich leben lässt, in eine religiöse Heilsgewissheit, die sich an Richtigkeiten orientiert. Wie kann das sein? Wir tun doch was, wir feiern doch Gottesdienst, wir versuchen doch, aus Gottes-Liebe Nächsten-Liebe werden zu lassen und Nächsten-Liebe als Gottesdienst zu verstehen. Machen wir doch – oder? Warum treffen mich die Worte des Amos heute? Er selbst trat um 750 vor Christus auf und wetterte gegen das asoziale Verhalten der führenden Schichten und war überzeugt, dass es erst zu einer guten, sozusagen vertikalen Verbindung von Gott und Mensch kommt, dass es erst wirkliche und gottgefällige Kulthandlungen und Gottesdienste geben kann, wenn die horizontale Linie, die von Mensch zu Mensch, von reich zu arm, von fremd zu heimisch, von richtig zu falsch von Gerechtigkeit geprägt ist. Und so legt er Gott denn Worte des Ekels, ja des Hasses in den Mund:
Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar –, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Der Gospelchor singt und Amos lässt Gott vom Geplärr unserer Lieder sprechen - als Gemeinde singen wir deshalb nur heute nur zweimal, da kommen wir besser weg. Es wollen hier in Deutschland Kirchenoberste und Politiker einen alten neuen Feiertag, den Reformationstag, zurück, und er unterliegt schon jetzt der Verachtung Gottes. Wir sammeln uns als Gemeinde in dieser Stunde, suchen die Schönheit von Musik und Gemeinschaft, suchen Trost und Zuversicht, machen uns kenntlich als Glaubende, als "Marafiki", als Freunde, und Gott stinkt es. Wenn denn Amos Recht hat. Nun kann ich ihm nicht folgen in seinem doch allzu sehr vermenschlichten Gottesbild. Gott riecht und hört nicht, er hasst und ekelt sich nicht, spricht nicht. All das sind Versuche, das Unsagbare Gottes sagbar zu machen. Wir wissen das. Aber Gott ist gegenwärtig und wir sind in der Gegenwart Gottes. Und es macht uns diese Gegenwart Gottes zu Tätern. Wir sind in der Gegenwart göttlicher Liebe, von der wir in der Epistel hörten (1 Kor 13), Täter, deren Untaten, Fehlverhalten, Selbstverteidigungen, Ausflüchte, Selbstbetrüge klar als lieblos dastehen. Und zugleich sind wir in der Gegenwart göttlicher Liebe geliebte Menschen. Wir sind fähig und tun es, Glaube, Liebe und Hoffnung in ihrer ganzen Schönheit als hohl und banal, als fade und verzuckert schmecken zu lassen, sie stinken zu lassen nach dem Schweiß der Selbstherrlichkeit. Und zugleich können wir doch in der Gegenwart göttlicher Liebe davon kosten, schmecken, sie preisen und groß werden lassen, so dass die, die noch nichts davon hatten, abbekommen. Die Gegenwart Gottes nimmt uns in einer wundersamen Weise gefangen. Ich möchte dies "geborgene Verantwortung" nennen.
Es gibt ja eine Geborgenheit in der Familie oder mit dem geliebten Menschen oder an der Seite eines Freundes, die ist erst einmal nur für mich. Und in ihr möchte ich auch nicht die Gemeinde oder Menschen, um die ich mich sorge, auf dem Sofa sitzen haben.
Aber dann ist da die Geborgenheit in Gottes Gegenwart. Sie kommt ganz aus Gottes Kraft oder Liebe. Diese Kraft schafft Geborgenheit und gerechtes Handeln, sie selbst ist es auch, die Vertrauen ermöglicht - zu Gott und den Menschen. Es ist das Vertrauen, dass Menschen und Welt sich ändern, bessern lassen.
Hochaktuell prangert Amos mit Gottes Worten Mangel an alltäglicher Gerechtigkeit, Brutalität gegenüber Fremden, Vernachlässigung der Randgruppen in der Gesellschaft, Mord und Totschlag, Vergötzung lebensfeindlicher Werte an. Und er ist überzeugt, dass Besserung möglich ist. Streit und Missgunst unter Nachbarn können nachlassen, Fremdenfeindlichkeit kann überwunden werden Menschen am Rand unserer Gesellschaft können gleichbehandelt werden, können ihr brutales Etikett als "Randgruppe" verlieren. Und das nicht, weil wir so besonders gute Menschen sind, sondern weil Gott sich in besonderer Weise gerade denen zuwendet, die unserer Aufmerksamkeit so leicht entschwinden. An dieser Parteilichkeit Gottes kommt kein Bibelleser vorbei. Und wer an diesen Gott und an seine Gegenwart glaubt, der empfindet das nicht als Ärgernis, der möchte nur, was Gott will, der möchte nur, dass viele Menschen diese Geborgenheit, diese Liebe Gottes erfahren. "Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Die Rechtssatzungen des jüdischen Volkes finden sich in den 613 Geboten der Tora. Sie galten und gelten Menschen jüdischen Glaubens als Weisung zum Leben. Gefragt, was denn das höchste all dieser Gebote sei, antwortet der jüdische Rabbi aus Nazareth: "'Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft' (5. Mose 6,4-5). Das andre ist dies: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst' (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese" (Mk 12, 29-31). Hier verknüpfen sich Gerechtigkeit und Liebe. Bei der biblischen Gerechtigkeit geht es darum, dem Nächsten, und sei sie oder er auch noch so fern, gerecht zu werden. Und nur in der Befolgung dieser beiden größten Gebote wird aus dem Geplärre schöner Gesang; aus all den Opfern unserer Zeit und Aufmerksamkeit, unseres Könnens und unserer Kompetenz für die Menschen, die uns brauchen, wird schlichte Nächstenliebe, aus dem Alltag wird Sonntag. Vertikale und Horizontale finden zusammen, werden zum Kreuz. Fallen sie auseinander, werden wir unglaubwürdig; fallen sie ineins, bleiben wir herausgefordert. Das lehrt Amos mich heute. "Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Und wenn wir, die Marafiki, und der Tansaniaausschuss und alle, die uns helfen und fördern, es irgendwann geschafft haben werden, dass Wasser aus jener Senke bei Ludodolelo in die vier Dörfer fließt, die immer noch darauf warten, dann sind wir unseren Partnern ein Stückweit gerecht geworden.
"Tupo pamoja" würden unsere Partner in Tansania sagen: "Wir sind eins, wir gehören zusammen". Amen.
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