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2. Sonntag nach Epiphanias: 1 Kor 2,1-10
2. Sonntag nach Epiphanias: 1 Kor 2,1-10
# Archiv Predigten 2018
2. Sonntag nach Epiphanias: 1 Kor 2,1-10
Liebe Gemeinde, an diesem Sonntag, den wir als Kirche Jesu Christi den 2. Sonntag nach Epiphanias nennen, den wir als Blankeneser Highest Society auch den 1. Sonntag nach dem Klönschnackempfang nennen könnten, kommen sich Paulus, der große Völkermissionar, und Elisabeth Flügge, Hamburger Lehrerin, für einen Moment näher – jedenfalls mir, als ich den Predigttext abschrieb, nachdem wir die Ausstellung "Neuanfänge nach 1945?" gestern eröffnet hatten. In dem kleinen Flyer über sie, der am Ausgang ausliegt, steht als Zitat aus dem Hamburger Abendblatt vom 6.11.1976 über die Ehrung Elisabeth Flügges als Gerechte unter den Völkern:
"Über einen jüdischen Anwalt, der mithelfen musste, die Ausweisungslisten zusammenzustellen, hörte Frau Flügge, daß die Mutter einer ihrer Schülerinnen abtransportiert werden sollte. 'Da bin ich zur Gestapo gegangen, mit zitternden Knien.' Der Gestapo- Mann sagte: 'Sie haben einen Beamten vor sich!' Frau Flügge antwortetet unerschrocken: 'Sie auch!' und erlebte ein Wunder: einen Mann, der sich bemüht hatte, anständig seine Pflicht als Beamter zu erfüllen und nun verzweifelt ausrief: 'Und jetzt muß ich für diesen Teufel die Todeslisten aufstellen!' Die Mutter der Schülerin wurde zurückgestellt, aber nur bis auch der Gestapo-Mann mit Gewissen verschwunden war."
Für die Konfis: die Gestapo war die Geheime Staatspolizei in der Zeit des Nationalsozialismus.
Und diese Zivilcourage einer evangelischen Christin mit zitternden Knien kommt mir heute erheblich bedeutsamer und wegweisender vor als Paulus mit seinem Selbstbekenntnis aus dem 1. Korintherbrief.
Er, Paulus, kommt nach Korinth, in diese große Hafenstadt, in der das Motto gilt "Alles ist mir erlaubt". Und er beginnt, den Menschen von seinem Glauben zu erzählen. Viele wenden sich wohl gleich ab und anderen Religionen und Philosophien zu, denn sie hören ja nicht nur, sie sehen auch zu, sehen die Haltung des Mannes, seine Mimik, seine Hände, die hin und herfuchteln oder sich winden, sehen ihn wanken oder zittern, spüren, wie die Sicherheit der Botschaft nicht passen will zu der Unsicherheit des Botschafters. Er kommt nicht an. Sie finden ihn schwach.
Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth erinnert Paulus sich und schreibt:
Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.
Paulus ist mir nahe in seiner Schwachheit, seiner Furcht und seinem Zittern. Und dass er sich dazu bekennt, macht auch heute Mut, denn kaum einer traut sich, von seinen Schwächen zu reden.
Schwachheit, Furcht und Zittern hier aber nicht einfach so, nicht memmenhaft, sondern im Auftrag, "das Geheimnis Gott zu verkündigen". Dieser Auftrag kostet Paulus immense Kraft, lässt ihn fürchten, Gott im Wege zu stehen, lässt ihn zittern, dass er versagt, dass das ihm Wichtigste und Wertvollste abgetan, lächerlich gemacht wird. Das Geheimnis Gottes zu verkündigen, ist ihm ein Unding, ist ihm eine Unmöglichkeit und soll doch getan werden.
Wie mag Paulus diese Unmöglichkeit angegangen sein? Seine Methode scheint einfach: Keine hohen Worte, keine hohen Weisheiten, nichts anderes als Jesus Christus, den Gekreuzigten.
Und hier kann ich ihm nicht mehr folgen:
Er reduziert Jesus auf seinen Tod und lässt ihn durch seinen Tod zum Christus werden. Ich frage mich, liebe Gemeinde, ob wir mit diesen Worten des Paulus einer Rede von Gott Raum geben, die uns einschließt in unsere eigene Heilsvollkommenheit und die es möglich machte, dass Kirche sich in ihrer Selbstherrlichkeit so verhielt, wie es in der Ausstellung zu sehen sein wird.
Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): "Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben." Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.
Bloßlegend die Behauptung, die Christen seien die Vollkommenen und die anderen damit unvollkommen, die Behauptung ferner, dass die Christen als Vollkommene eine eigene Weisheit besäßen, die die Weisheit der anderen zur Narretei macht, und schließlich, dass diese Weisheit dann auch die Weisheit Gottes ist, die Gott den Christen vorherbestimmt habe zu ihrer, der Christen Herrlichkeit.
Sind das keine hohen Worte, Paulus? Ist das der Ausdruck von jener Schwachheit und Niedrigkeit, die sich im Gekreuzigten spiegeln? Und ist diese Heilsgewissheit im Superlativ und in aller Exklusivität der Erweis des Geistes und der Kraft - des Geistes Jesu, des Geistes dessen, der das Evangelium Gottes, die frohe Botschaft Gottes predigte und zur Umkehr, zum Neuanfang aufforderte? Oder anders:
Ist die Predigt allein vom Gekreuzigten möglich, ohne den Mann aus Nazareth zu sehen, ohne wissen zu wollen, was er verstand unter Wahrheit, Liebe und Opfer, Leib und Blut, Gott und Welt? Gibt es das Wort vom Geheimnis Gottes ohne menschliche Weisheit, ohne Forschung und Mühe, ohne Suche nach den angemessenen Worten, die dieses Geheimnis erst wirklich freilegen und im wahrsten Sinne des Wortes schön reden könnten?
Wenn sich Kirche, wenn sich Gemeinde selbst genug ist, wenn die Schotten zu den anderen dicht sein sollen, dann mag solche Rede, dann mag der Verzicht auf hohe Worte zugunsten höchster Ansprüche vielleicht sogar notwendig sein, um die Schotten auch dicht zu halten. Und selbst das ist nicht gelungen, sondern innerhalb der Christenheit nahmen und nehmen wiederum einige den Superlativ und die Exklusivität nur für sich in Anspruch und sprechen den anderen wahres Christsein ab.
Lese ich aber die biblischen Geschichten mit den Augen derer, die Jesus erreichen wollte, die er umwarb, denen er Gott nahe bringen wollte, und koste es das Leben, aus der Sicht eines Menschen auch, der sich den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht verschließt, verstehe ich Kirche und Gemeinde aus der Sicht eines Menschen, der zweifelt, der sich fragt und der ringt; aus der Sicht einer, die sich nicht zu den Vollkommenen zählen kann und will, dann legen sich christliche Überheblichkeit und Arroganz auf die Worte des Paulus: "Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit".
Diese Herrlichkeit aber kann nur die Herrlichkeit Gottes sein, kann nur unsere Freude über diesen herrlichen Gott sein, darf sich nicht zusammentun mit irgendwelchen Absolutheitsansprüchen, die wieder andere den Anspruch auf Absolutheit erheben lassen. Es ist eine Form von Demut und zugleich von Respekt der Größe Gottes gegenüber zu sagen, dass wir von einer "angenommenen und wahr-genommenen Wahrheit" leben.
Der Mann aus Nazareth bietet mir an, was mich tragen, was mein Leben reich machen und erfüllen will. Und ich nehme es für mich an und wahr und glaube:
In Jesus ist die unendliche Kluft zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch überwunden.
Es steht dem Menschen kein Wissen über Gott zur Verfügung aus sich selbst heraus, aus einer Ableitung oder Projektion heraus. Der Mensch hat solange über Gott zu schweigen, bis Gott selbst geredet hat. Und nun hat er in Jesus geredet. Das behaupten alle Schriften des neuen Testamentes, und sie benutzen dafür unterschiedliche Titel und unterschiedliche Bilder, um dieses eine zu sagen: Gott hat sich in diesem Jesus gezeigt oder offenbart - in seinem Wesen, in seiner Liebe, seiner Freiheit und Großzügigkeit, seinem Erbarmen und seiner Treue.
Das macht Jesus selbst nicht zu Gott, aber deshalb hat Jesus diese Hoheitstitel oder Orden bekommen – und Hamburger gehen vorsichtig mit Titeln und Orden um. Deshalb wurde Jesus der Christus, der Gesalbte Gottes oder der Sohn Gottes oder der Messias oder der König der Juden oder der Menschensohn oder der Gekreuzigte genannt. Jesus ist nicht Gott, aber sein Glauben, seine Gottunmittelbarkeit, seine Liebe zu Gott und den Menschen sind göttlich.
Einen Beweis dafür gibt es nicht. Die Wahrheit dieses Glaubens kann sich nur erweisen, so wie Paulus es sagt: in Erweisung des Geistes und der Kraft.
Es ist dies der Glaube, den ich an-nahm, es ist dies die an-genommene Wahrheit, die mich tragen soll, wie sie vorher schon unzählige Menschen trug. Geglaubte Wahrheit, erwiesene Wahrheit, denn sie trug mich bis hierher, vor allem: sie trug sich durch die Jahrhunderte der Menschheit, aus einem Winkel der Welt heraus. Sie wurde verleumdet, verbogen, verraten – auch in dieser Gemeinde in der Zeit des Nationalsozialismus und in den ersten Zeiten danach - und doch ging sie nicht unter, und doch erwies sie sich als Halt und als Freude für die Menschen. Das ist nicht nur ein Geheimnis, das ist ein Wunder.
Aber nicht für alle und nicht als objektive universale Wahrheit, sondern als geglaubte und angenommene.
Und es gilt einzugestehen, dass da andere Religionen sind, die auch "angenommen wahr" sind, denn auch sie trugen und tragen Menschen, geben ihnen Halt, schenken ihnen Freude. Und für unsere wie für die anderen steht die Wahrheit in einem objektiven und alle überzeugendem Sinne noch aus, und es kann nur Gott sein, der die Menschen in diesem Sinne von seiner Wahrheit erfüllen und überzeugen kann. Keinem von uns ist es erlaubt, einer anderen Religion ihre Wahrheit zu nehmen.
Wenn ich aber nun sehe, dass es unleugbar Falsches und Verwerfliches in einer Religion gibt, in meiner eigenen und in den anderen, dann muss es doch wohl so etwas wie Kriterien für die angenommene Wahrheit einer jeden Religion geben.
Ich sehe davon zwei: da gibt es einen universalen Heilswillen Gottes, wie er sich für uns ausdrückt im 1. Timotheusbrief, wo es heißt: Gott "will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" (1 Tim 2, 4). Und wenn das Wille Gottes ist, dann hat er auch Mittel und Wege, die Menschen zu erreichen. Die wunderbare Vielfalt der Religionen könnte doch von diesem Willen zeugen.
Und da gibt es zum anderen, auf der Seite der Menschen nun, das Doppelgebot der Liebe, das die Liebe zu Gott und zum Nächsten einfordert, das die Barmherzigkeit entgrenzt zu einem jeden hin, der Barmherzigkeit braucht.
Ohne diese beiden Kriterien kann es angenommene, wahr-genommene religiöse Wahrheit, glaube ich, nicht geben. Mit ihnen entfaltet sich eine jede Religion und drückt sich in unterschiedlichsten, vielleicht fremden, aber sinnhaften und schönen Formen aus.
Das Verständnis auch christlicher Wahrheit als einer angenommenen, wahr-genommenen, vorläufigen, aber tragenden und Halt gebenden Wahrheit ermöglich Respekt vor den anderen, sucht Dialog und Verständnis, ermöglicht Neuanfänge.
Es ist eine Prophylaxe vor Selbstherrlichkeit, vor Rassenwahn, vor Deutschtümelei, vor Uneinsichtigkeit, wie sie sich in der hier zu sehenden Ausstellung zeigen. Es schmälert nicht die Freude an dem Geheimnis Gottes und an dem Wunder, das auch wir hier in Blankenese teilhaben dürfen an dem, "was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben."
Gott lässt sich tief ins Herz blicken mit einem Geist und einer Kraft, die nicht das Hohe und Stolze, nicht das Absolute und Exklusive suchen, sondern sich erbarmen und deshalb tief gehen und sich "mächtig" freuen. Amen.
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