02/07/2024 0 Kommentare
1. Sonntag nach Trinitatis: Kor 1, 26-31
1. Sonntag nach Trinitatis: Kor 1, 26-31
# Archiv Predigten 2018
1. Sonntag nach Trinitatis: Kor 1, 26-31
Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen.
Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme.
Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf dass gilt, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): "Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!"
Liebe Gemeinde,
"Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!"
Sie kennen bestimmt das Magnificat, das Loblied Marias, die Jubelworte, in denen sie Gott preist, als bei ihr ankommt, was der Erzengel Gabriel ihr da eröffnet hat – was nach der Furcht, dem Entsetzen, dem Staunen, dem mühevollen Begreifen ankommt: dass sie auserwählt ist, dass sie den Sohn Gottes auf die Welt bringen wird.
"Meine Seele erhebt Gott, den Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig."
Das singt sie als sie es begreift, was der Erzengel Gabriel ihr da offenbart hat: gebenedeit bist du unter den Weiber und gebendeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
Und dann jubelt sie schließlich, als sie einwilligt in das, was sie begreift: ich bin eine von Gott Berufene.
Sie ist eine von Gott Auserwählte und sie nimmt es sich zu Herzen. Als eine, die wenig vorzuweisen hatte. Als eine, an der nicht so viel Besonderes war. Besonders wird sie durch diesen Akt der Erwählung.
So ist das bei Gott. Und so ist das mit Gott auch in Korinth, sagt Paulus. Und so ist das mit Gott auch für uns. Das hält Paulus hier fest. Eure Berufung ist, dass Gott euch gerufen hat, sagt er den Korinthern. Eure Berufung ist, dass er euch auserwählt hat. Dass er euch auserwählt und zuerst geliebt hat. Darauf achtet! Daran haltet fest! Davon lebt! Bei Johannes heißt es: Jesus Christus spricht: "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und damit eure Frucht bleibt." (Johannes 15,16) Oder hier:
"Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt."
Da ist es wieder, dieses Motiv, das sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel zieht: Gottes Souveränität der Erwählung: "Denn er spricht zu Mose: "Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich." So heißt es im Römerbrief 9,15.
Gottes freie Souveränität und sein immer wieder überraschender Hang zum Kleinen, zum Unscheinbaren, sein so ganz anderer Blick, seine so ganz andere Maßstäbe, die sich nicht ausrechnen lassen: Du, Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sein wird", haben wir an Weihnachten wieder gehört.
Gott besteht auf seiner unberechenbaren Liebe, die man nicht bestechen kann, die ohne Bedingung daherkommt, sich nicht verdienen lässt, die man nicht zwingen kann, der man sich nur öffnen kann wie Maria mit dem eigenen verletzlichen sehnsüchtigen Herzen, wie der bunt zusammengewürfelte Haufen von Menschen, die Jesus um sich schart während er als Wanderprediger durch das Land zieht. Wie wir, wenn wir ihn aufrichtig suchen. Er macht es deutlich, an ihm wird es sichtbar, wie Gott erwählt, wie seine Liebe einem zufällt.
Da, wo nach menschlichen Maßstäben nur noch Urteile fallen und Ausgrenzung stattfindet, da, wo nach landläufiger Meinung nicht viel zu holen ist, da wartet er auf. Gott wählt anders als wir normalhin und er wählt nach anderen Maßstäben als wir es normalhin tun. Und das einzige, was dir zu tun bleibt, wenn sein Blick dich trifft, ist das Herz aufzumachen und darauf zu antworten.
Das hört sich leicht an, aber wenn es soweit ist – das zeigen alle Gottesbegegnungen, die die Bibel uns vor Augen malt, braucht es Mut zu diesem Wagnis und Vertrauen, dass daran festhält.
Denn diese Liebe ist so anders als wir sie vermuten und uns ausmalen, sie kommt so anders daher, versteckt ihre göttliche Ladung so menschlich, so schlicht, so unscheinbar für den ungeübten Blick, dass wir ihr schnell nichts zutrauen und ihre Kraft als Schwäche begreifen, nur weil sie das Schwache sucht und ihre Macht als Ohnmacht diffamieren, nur weil sie selbst in der Ohnmacht noch zu finden ist. Selig ist, wer Augen hat zu sehen.
Melvin war 6, als ich ihn kennen lernte. Ihn und seine Mutter, die ihn in den Gottesdienst trug und auf ihrem Schoß hielt, weil er die Orgelmusik so liebte und so fühlbar ruhig und zufrieden wurde in der Kirche. Sie steckte voller Liebe zu diesem Kind, das mit 2 Jahren durch einen Fieberschub ins Koma gefallen ist, viele Fortschritte gemacht hatte, aber trotzdem seither ein schwerer Pflegefall war. Ein kleiner Junge, total versehrt und trotzdem so geliebt, trotzdem selber so voller Liebe, die er auf seine ganz eigene Weise ausdrücken und austeilen konnte an jeden, der ihm freundlich begegnet ist und die Zeichen lesen konnte. Wenn der Nachbarshund kam und sich an ihn drückte, dann suchte seine Hand sein Fell und es gluckerte fröhlich in ihm, wenn seine Geschwister ihm vorlasen – niemand wusste, was er verstand - entspannte er sich sichtlich. Melvin konnte nicht mehr sprechen. Sein Körper war durch so viele Spasmen verdreht und fast immer unter Spannung, auch die Physiotherapien, auch die Muskelentspannungsmittel konnten daran nicht viel ändern und doch gab es viele lichte Momente. Manche sagen, wäre er doch gestorben damals, es wäre besser gewesen für alle. Seine Mutter hat das nie gesagt. Obwohl er das Leben seiner Eltern komplett umgekrempelt und sie manches mal überfordert hat, ihr Alltag war nicht mehr wieder zu erkennen war, auch für die Geschwisterkinder nicht. Manchmal waren sie alle am Rande ihrer Belastbarkeit.
"Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt."
Gottes Maßstäbe sind andere als die unseren, das stellt Paulus klar: das, was nichts gilt bei uns - zu schwach, zu geringfügig, nicht ansehnlich, zu krank - das ist das, wofür Gott sich entscheidet. Was bei uns herabgestuft, ausgegrenzt, "ein hoffnungsloser Fall ist", für das hat Gott ein zärtliches Gefühl, eine Voreingenommenheit, die ihresgleichen sucht. Gott entscheidet sich für unser zerbrechliches und unvollkommenes Leben wie damals die Eltern des kleinen Melvin für ihn. Und plötzlich zählen andere Maßstäbe im Leben: Nicht Stärke, Leistung und Erfolg, sondern Nähe und Zuneigung. Das Wachsen nach eigenen Möglichkeiten rückt in den Vordergrund, nicht das nach der Norm. Es zählt die Zeit, die man miteinander verbringt, die Liebe, die den anderen erreicht, nicht die Stunden auf der Arbeit. Wenn es Melvin gut ging und er selbstverständlicher Teil ihrer Familie sein konnte, mittendrin trotz seiner schweren Behinderung, dann waren seine Eltern glücklich, wie andere über ein super Zeugnis.
"Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zu Schanden mache, was stark ist."
Das klingt für unsere Ohren vermutlich genau so schräg wie es für die Korinther geklungen haben muss, für die, die auf der Skala der gesellschaftlichen Wertschätzung und Anerkennung eher weiter unten anzusiedeln waren. Die genau wussten, dass die Kräfteverteilung in der Welt nun einmal ist wie sie ist und der Wettbewerb gnadenlos. Das war damals im Prinzip nicht anders als heute.
Und schaut man auf die Welt, dann sieht man auf den ersten Blick immer, dass der Schwache unterliegt und das Diktat der Macht, des Geldes und der allgemeinen Akzeptanz die Orientierung vorgibt und es keine Umwertung der Werte gibt. Wie zu erwarten kommen die Klugen, Schönen und Erfolgreichen weiter, während die Unattraktiven, Gehandicapten und "Opfer", wie es im Jugendjargon gnadenlos heißt, weniger Chancen haben. Und dann sehe ich auf den zweiten Blick Menschen wie Janis McDavid, der ohne Arme und Beine geboren wurde und inzwischen Wirtschaftswissenschaften studiert und Menschen motiviert, sich ihrem Leben und der Aufgabe darin zu stellen, wie immer sie aussieht. "Warum ich? Warum so? Haben Sie sich das jemals gefragt?", wurde er im Interview gefragt. "Nur als Kind", hat er geantwortet und gesagt: "Meine Eltern hatten eine ziemlich geniale Antwort. Sie sagten: 'Jeder Mensch hat seine Aufgabe auf dieser Welt. Mit deinem körperlichen Handicap ist ganz offensichtlich auch eine Aufgabe verbunden – es liegt an dir, herauszufinden, welche das ist.' Dabei bin ich gerade."
Das ist ein so anderer Blick auf das Leben und seine Möglichkeiten als der herkömmliche.
Denn spätestens auf den zweiten Blick verstehen wir ein bisschen mehr, dass gerade die, die der herkömmlichen Norm nicht entsprechen, weil sie krank sind oder alt oder behindert oder schlicht und einfach "anders" uns etwas von Gottes anderer Wirklichkeit zeigen, die in einem angewiesenen, verletzlichen Kind, geboren unter erbärmlichen Umständen, ihren Anfang nahm und der Welt einen anderen Weg weist.
Und uns begreifen hilft: Alles nur geliehen, reines Geschenk, nichts verdient, "damit sich Kein Mensch vor Gott rühme!"
Eine Kollegin hat einmal von einem Kind mit Downsyndrom erzählt, der ihr diesen anderen Blick eröffnet hat. Paul heißt er. Und sie sagt: "Drei Jahre alt. Super süß. Unverstellt und ehrlich. Neben ihm komme ich mir manchmal schwach und minderbemittelt vor: oft unfähig, die richtigen Prioritäten im Leben zu setzen. Genial im Spielen und Erfüllen der Rollen, die man von mir erwartet, aber hoffnungslos verloren, wenn es darum geht, die wahren Gefühle zu zeigen und die Welt spüren zu lassen, wie es mir geht."
So sind wir: schwach und anfällig, begrenzt und hilflos. Und dabei doch erwählt und zum Leben berufen durch Gott und niemanden sonst. Darum: "Seht auf eure Berufung! Und wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!" Amen.
Kommentare