Predigt am 3. Advent: Röm 15, 4-13

Predigt am 3. Advent: Röm 15, 4-13

Predigt am 3. Advent: Röm 15, 4-13

# Archiv Predigten 2017

Predigt am 3. Advent: Röm 15, 4-13

Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit "einem" Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): "Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen." Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): "Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!"  Und wiederum (Psalm 117,1): "Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!" Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): "Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen." Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

 Liebe Gemeinde,

"alles, was Jesus begegnet und alles, was ihm widerfährt, offenbart uns, wie Gott präsent ist in seinem Leben", hat James Finley, ein ehemaliger Trappistenmönch aus den USA einmal gesagt. (Frei übersetzt nach James Finley: An Advent Meditation)

"Und die Art und Weise, in der Jesus das aufnimmt und annimmt, was ihm widerfährt und wie er den Menschen begegnet, die ihm in den Weg gestellt sind auf seiner Reise durch dieses Leben, offenbart uns, wie er antwortet auf diese Präsenz Gottes in seinem Leben." Jesus Christus gibt uns etwas zum Begreifen im wahrsten Sinne des Wortes, etwas zum Verstehen, etwas zu sehen und zu schmecken, etwas zu fühlen und hören davon, wie Gott präsent ist und wie eine Antwort darauf aussehen kann. Davon, wie Glauben geht und was Vertrauen heißt. Konkret.

Dieser etwas verschwurbelte Paulustext, der uns heute als Predigttext aufgegeben ist, handelt im Kern genau davon. Davon, die Gegenwart Gottes wahrzunehmen, in unserem Leben. In den Menschen, die uns begegnen. Sie nicht da hineinzuinterpretieren, herbeizuzwingen, sich einzureden, sondern sie wahrzunehmen darin. Und dann darauf zu antworten. Mit einem offenen, achtsamen Herzen. Mit dem eigenem Reden. Mit dem eigenem Handeln. Mit dem eigenen Leben.

Paulus schreibt seinen Brief an die Gemeinde in Rom, die er nicht persönlich kennt, die er nicht gegründet hat, über die ihm nur das eine und auch andere zu Ohren gekommen ist, so dass er sich genötigt fühlt, einzugreifen und ihnen diesen Brief zu schreiben. Integration und wie sie gelingt, könnte die Überschrift zu seinem Thema hier auch sein. Integration und was sie von uns fordert, könnte man auch sagen. Integration und was sie uns zumutet, genau so.

In Rom ist eine bunt zusammengewürfelte Gemeinde am Start. Bestehend aus Judenchristen, also denen, die – wie Jesus - aus dem Judentum kommen und ihn als ihren Christus verstehen gelernt haben und als Sohn Gottes anbeten. Und solche, die aus völlig verschiedenen anderen religiösen Herkunften kommen und sich der jungen christlichen Gemeinde angeschlossen haben.

Die einen mit einem reichen Schatz an jüdischer Praxis Pietatis ausgestattet und verbunden, würden wir heute sagen, also einer religiösen Praxis, die ihrem Glauben Form gibt und ihren Alltag strukturiert. Mit Gebeten, kultischen Vorschriften wie den Reinheits- und Speisegeboten im Schlepptau, die zu ihrer religiösen Herkunft gehören und die sie nicht einfach abgelegt haben, nur weil sie nun Christen geworden sind. So wie wir ja auch das sogenannte Alte Testament als Christen nicht ablegen und als überholt abtun, obwohl uns das sogenannte Neue Testament diesen ersten Bund erweitert. Der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk bleibt trotz allem der grundlegende Bund Gottes, in den wir eintreten duften, wir bleiben die jüngeren Geschwister der Juden und teilen mit ihnen das Fundament unseres Glaubens.

Und dann gibt es anderen, die die Vorschriften und Gebote des jüdischen Glaubens nicht nur nicht kennen, sondern auch gar nicht kennen zu müssen meinen, weil sie nicht zum Judentum übertreten, sondern an den Christus Gottes glauben und sich als Christen frei fühlen von allen gesetzlichen Einschränkungen, die sie mit den jüdischen Traditionen verbinden. Die einen, die sich gebunden fühlen an die Traditionen ihrer Herkunft, die anderen, die sich komplett frei davon glauben.

Und so knallt es genau so schnell, wie man sich das vorstellen kann. Im Alltag. In echt. Ganz praktisch (da, wo das bei Licht betrachtet immer passiert, da, wo es um das konkrete Leben geht und nicht um die hehre Theorie). Was auf dem Tisch steht, was man essen darf, wie man sich zu kleiden hat, wie man zu beten hat oder auch nicht, darum gibt es plötzlich Streit. Und wie das so ist beim Streiten, man ist allein im Recht und hat die Wahrheit mit Löffeln gefressen und weiß, wie's geht. Wenig Respekt, wenig Wertschätzung für das Gegenüber und seine Wahrheit, seine Geschichte, sein Gewordensein. Jeder sich selbst der Nächste.

Und wie das meistens auch so ist, wenn man über die Stränge schlagen muss in der Auseinandersetzung, es geht oft um einen Mangel an eigenem Selbstvertrauen und einem Mangel an Gottvertrauen, aus dem eine größere Gelassenheit wachsen könnte, eine größere Freiheit, ein getrosteres Wissen um die eigene Identität und das eigene Gehaltensein bei Gott. Man müsste sich nicht so angegriffen fühlen, man könnte gelassener bleiben, zurücktreten, den Blick weiten. Aber: es gelingt nur selten.

Und in diese Gemengelage hinein, die wir alle - nur in anderem Gewand - genau so kennen, mahnt Paulus: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob."

Das sagt sich ja einfach. Fragen Sie mal nach bei denen, die sich in die Haare gekriegt haben. Fragen Sie mal nach bei sich selber, wenn Sie im Streit sind mit jemand, sich nicht geachtet, nicht gewertschätzt, nicht gesehen und verstanden fühlen. Das ist das Ende der Theorie, da beginnt der Praxistest. Das Annehmen des Anderen ist nämlich nicht so leicht, wenn es ernst wird und man es ernst meint. Und vor allem, wenn es einem nicht in die Wiege gelegt ist, weil der Andere so anders ist als ich und mich so vieles an ihm stört.

Lassen Sie uns mal gucken, wie das bei Christus aussieht, den Paulus uns da als Vorbild vor Augen stellt, wie das bei ihm ging mit dem Annehmen.

Wie sieht das aus: bei Zachäus, dem Zöllner zum Beispiel ?

Bei dem, der ausgestoßen ist aus der Gemeinschaft. Weil er es vermasselt hat. Weil er sich bereichert hat auf Kosten seiner eigenen Landsleute. Das war sein soziales Todesurteil. Er wurde gemieden, niemand wollte mehr mit ihm zu tun haben, die kleine Rache der Rechtlosen, ihre einzige Möglichkeit Verachtung zeigen. Als er Jesus aus der sicheren Deckung beobachten will, sieht Jesus ihn. Sieht er hin und geht hin zu ihm. Sieht ihn an. Nimmt ihn wirklich wahr. Und holt ihn runter vom Baum, indem er sich schockierenderweise bei ihm, den jeder meidet, einlädt und sagt: "Ich will zu Gast bei Dir sein, Zachäus!" Und mit zu ihm ins Haus geht, mit ihm an Tisch sitzt und ihn damit zurückholt in die Gemeinschaft, die ihn ausgesperrt hat. Obwohl er ein beschriebenes Blatt war. Obwohl er sich vergangen hatte. Obwohl er die Gebote Gottes sträflich missachtet hatte. Ohne Vorleistung. Ohne Bedingung. Ohne Urteil. Zum Entsetzen der Anderen setzt er sich mit ihm an einen Tisch und fragt nach ihm. Und schließt ihm damit den Himmel auf und ein anderes Leben auf Erden.

Bei der Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt worden war (wie ja vermutlich genauso der Mann, der dazugehört, kein Wort dazu, nur mal nebenbei bemerkt). Urteil: Steinigung. "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!", sagt er und spricht sie – nachdem die zusammengelaufene Menge die Steine sinken lässt, los von dem, was sie getan hat, damit sie einen neuen Anfang hinkriegt. Ohne gutzuheißen, was sie getan hatte. Ohne sie weiter zu demütigen. Ohne ihr Vorhaltungen zu machen und eine Standpauke mit auf den Weg zu geben. "Geh hin und sündige hinfort nicht mehr!", das sind seine Worte. Und die Menge ist fassungslos. Bei den einen steht er damit selbst auf der Abschussliste, bei anderen passiert etwas, verschiebt sich der Blick, auch auf sich selbst, den sie vorher hatten. Sie begreifen etwas ganz Neues von dem Gott, den er ihnen zeigt.

Bei denen, die Ähren raufen am Sabbat und deswegen kritisiert und verurteilt werden, stellt er klar: "Der Sabbat ist um des Menschen will da und nicht der Mensch um des Sabbats willen!" und lässt seine Jünger ihren Hunger stillen. Das geht gar nicht für die frommen Juden seiner Zeit.

Selbst am Kreuz noch – im Angesicht derer, die ihn töten werden- bittet er: "Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!"

Wir wissen es so oft auch nicht. So oft urteilen wir und verurteilen, sehen nicht gut genug hin und hören nicht aufmerksam genug auf die Worte zwischen den Zeilen, verachten und sehen deshalb so wenig. Und erreichen diejenigen, die uns nicht ohnehin schon nah sind, meistens überhaupt nicht.

Wir werden niemanden erreichen oder gar verändern, wenn wir ihn als erstes be- oder verurteilen. Weil Menschen sich in Sicherheit bringen vor einem solchen Blick. Wer so auf Menschen zugeht, dem werden sich die Menschen verbergen und nicht zeigen. Jesus hat es genau anders herum gemacht. Er hat erstmal "Ja" zu ihnen gesagt. Nicht "jein", nicht "vielleicht", nicht: "unter bestimmten Bedingungen". Er hat als erstes "Ja" zu ihnen gesagt. Alles andere kam später.

Der Ort, von dem aus er den Menschen begegnet ist, war ein Ort der Fülle, des Überflusses, des getrosten Wissens um den unverlierbaren Wert, die Kostbarkeit, die dieser Mensch in seinen, in den Augen Gottes hat. Egal, was sonst noch war. Egal, was es zu kritisieren gab. Ja.

Weil die Haltung, in der du einem anderen Menschen begegnest, bestimmt, wie diese Begegnung verläuft. Ob du dich mit ihm triffst an einem Ort der Möglichkeiten oder an einem Ort des Mangels, an einem Ort der permanenten kritischen Beurteilung, des nicht Genügens, des Vorbehalts oder einem Ort der Fülle, des Zutrauens, des Ermöglichens, der Unterstützung, der Synergie. Da ist Jesus Menschen begegnet. Du wirst jemanden nur dann wirklich erreichen, wachsen lassen, verändern können, wenn Du ihm in einer solchen Haltung begegnest, nur, wenn du ihm so voreingenommen positiv begegnest, mit einem zugewandten, liebevollen Blick.

Weil nur so Menschen genug Vertrauen gewinnen, um ihren Schutzschild herunternehmen und sich in die Karten schauen lassen. Nur, wenn sie sich gesehen und verstanden, wenn sie sich angenommen und geliebt fühlen.

Probieren Sie es aus. Mit sich selbst, mit den Menschen, die Sie lieben und – ganz wichtig - gerade auch mit denen, die Sie gar nicht lieben.

Es wird Ihre Begegnung transformieren. Weil Menschen das spüren. Ob wir sie festnageln auf das Bild, das sie selbst oder wir von ihnen haben oder ob wir sie herausfordern, man kann auch sagen, herauslieben, an einen anderen Ort, an den Ort Gottes sozusagen.

Jesus ist Menschen so begegnet. So, wie Gott uns begegnet.

So wie Eltern ein Neugeborenes in ihren Armen ansehen. Die Augen Gottes, die uns im Blick haben, leuchten. Und wenn wir uns ansehen lassen von diesem Blick, leuchten wir selbst. Wenn wir uns angenommen wissen, sind auch wir in der Lage, andere anzunehmen. Nicht als moralische Aufgabe für den Superchristen. Das wird ja nichts. Das überfordert unsere Willenskraft. Sondern als demütige Erkenntnis, wie sehr wir selber angewiesen sind auf diesen Blick Gottes. Wie sehr wir selber wachsen, wenn solche Augen uns anschauen. Wir sehr wir selber über uns und unsere Möglichkeiten hinauswachsen, wenn wir Gott und seinen Möglichkeiten nicht im Weg stehen.

Michelangelo hat einmal auf die Frage, wie es ihm eigentlich gelinge, aus einem Granitblock diese wunderbaren Skulpturen zu erschaffen, die er gemacht hat, gesagt: "Die Skulptur ist ja längst drin in dem Granitblick, den ich bearbeite. Alles, was ich brauche, ist ein Hammer und ein Meißel, damit ich das überschüssige Material abtragen kann, damit die wunderbare Skulptur darin zum Vorschein kommen kann." Genau darum geht es: das Geheimnis, das Kunstwerk Gottes, das in uns selbst und im Anderen längst drin ist, sehen zu lernen und umsichtig und liebevoll mit Hammer und Meißel uns gegenseitig abtragen zu helfen, was an überschüssigem Material drum herum ist. Zum gemeinsamen Lob Gottes, von dem wir alle stammen und dem wir alle die Möglichkeiten, die Farben, die Wunder unseres Lebens verdanken. Dann offenbart uns alles, was uns begegnet und widerfährt, die Präsenz Gottes in unserem Leben. Und wir beginnen, darauf zu antworten, immer achtsamer, immer weiter im Herzen, immer froher, immer liebevoller.

Amen.

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