Predigt zum Ewigkeitssonntag

Predigt zum Ewigkeitssonntag

Predigt zum Ewigkeitssonntag

# Archiv Predigten 2017

Predigt zum Ewigkeitssonntag

Liebe Gemeinde,

„Mein Leben hing an einem seidenen Faden!“, sagen Menschen manchmal, um eine Erfahrung zu beschreiben, in der sie fast gestorben wären, aber dann überraschenderweise doch noch einmal dem Tod von der Schippe gesprungen sind. Meistens sind es sehr bedrohliche, sehr berührende Erfahrungen an den Rändern des Lebens, mit aller Angst und Ohnmacht, die dazu gehört und aller Freude und aller Dankbarkeit, die einzieht, wenn man sie übersteht.

Ich finde, es ist ein wunderbares Bild für das Leben überhaupt, dass es an einem solchen seidenen Faden hängt. Überhaupt. Nicht nur in diesen Grenzsituationen, überhaupt nicht nur dann, wenn es ans Sterben oder fast Sterben geht, sondern grundsätzlich. Dass Gott unser Leben wie an einem seidenen Faden mit sich verbunden hat, so dass wir, wenn wir mit dem ersten Atemzug kommen und mit unserem letzten Atemzug gehen, die ganze Zeit über mit ihm verbunden bleiben. Der seidene Faden, Sinnbild dafür, dass wir verbunden bleiben mit unserer Herkunft im Himmel auch auf unserem Lebensweg hier auf Erden und auch dann noch, wenn wir aufbrechen zurück zu Gott am Ende unserer Tage hier. Und wenn man Augen hat, es zu sehen, dann kann man diesen seidenen Faden manchmal sogar „sehen“, spüren, wenn er sich bewegt im Gegenlicht dieser Bewegung.

In ihrem Gedicht "Unterricht" sagt Hilde Domin:

Jeder der geht belehrt uns ein wenig über uns selber. Kostbarster Unterricht an den Sterbebetten. Alle Spiegel so klar wie ein See nach großem Regen, ehe der dunstige Tag die Bilder wieder verwischt.

Nur einmal sterben sie für uns, nie wieder. Was wüßten wir je ohne sie? Ohne die sicheren Waagen auf die wir gelegt sind wenn wir verlassen werden. Diese Waagen ohne die nichts sein Gewicht hat.

Wir, deren Worte sich verfehlen, wir vergessen es. Und sie? Sie können die Lehre nicht wiederholen.

Dein Tod oder meiner der nächste Unterricht: so hell, so deutlich, dass es gleich dunkel wird.

Ich denke die Worte aus dem 1. Korintherbrief (1. Kor. 13, 12): „Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.“

Wir kommen in diese Welt und wir gehen aus dieser Welt allein, glaube ich, egal wie gehegt und im besten Falle erwartet und ersehnt wir kommen, egal, wie gut gepflegt, gesehen und begleitet wir gehen dürfen. Wir kommen und wir gehen im Letzten allein, wenn wir geboren werden und wenn wir sterben, an den Grenzen. Und doch sind gerade dann

„Alle Spiegel so klar wie ein See nach großem Regen, ehe der dunstige Tag die Bilder wieder verwischt.“, wie sie so wunderbar ausdrückt.

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“ „Gott selbst wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein!“, um nur zwei Bibelworte zu nennen, die von dieser besonderen Beziehung sprechen und festhalten: Am Ende des Lebens ist Gott selbst anwesend, egal, wer sonst noch zugegen ist oder nicht. Er ist es, der die Verbindung hält. Mein Leben liegt von Anfang an und noch über unseren Tod hinaus in seinen Händen. Er hält uns, wenn wir kommen und auch dann, wenn wir gehen müssen. Das glaube ich. Er allein.

Vor Kurzem wurde ich zu einem Notfallseelsorgeeinsatz gerufen, der mir noch lange nachgegangen ist, weil er von einem ganz anderen Glauben erzählt.

Eine Frau war relativ jung überraschend in ihrer Wohnung verstorben und ihr erwachsener Sohn hat sie gefunden. Er hat den Notarzt alarmiert, getan, was man unter Schock so tut, wenn man noch gar nicht begreifen kann, was da passiert ist und einfach instinktiv handelt und funktioniert. Und die Sanitäter, die kamen und schnell wieder gehen mussten, weil es hier für sie nichts mehr zu tun gab und der nächste Einsatz sie erfordert hat, haben die Notfallseelsorge gerufen, damit jemand da ist und da bleibt bei ihm bis nächste Angehörige, Familie, Freunde kommen können und übernehmen. So bin ich ihm begegnet und eine Weile bei ihm gewesen. Habe ihm zugehört und versucht, seiner Fassungslosigkeit einen haltenden Raum zu geben und eine Möglichkeit, sich sein Erschrecken von der Seele zu reden, das allererste Begreifen zu versuchen.

Irgendwann hat er gesagt: „Das Schlimmste ist, dass sie so allein gestorben ist, dass niemand bei ihr war. Ich war gestern Nachmittag noch hier und alles war in Ordnung. Wäre ich doch gestern einfach noch mal zu ihr hingefahren. Sie war ganz allein, als sie gestorben ist.“

Ich glaube das nicht. Ich glaube: wir kommen und wir gehen allein. Und sind darin gehalten. Ganz am Anfang und ganz am Ende unseres Lebens tut sich ein heiliger Raum auf, und jeder, der einen Sterbenden begleitet hat, weiß darum. Man kann ganz deutlich spüren, dass Sterbende sich zurückziehen von der Welt und manchmal kann man etwas wahrnehmen von diesem heiligen Raum, der sich um diesen Rückzug öffnet, diesen Raum, in den niemand sonst dringen kann, in dem nur Gott und dieser Mensch miteinander „im Gespräch“ sind. Eine große heilige Stille für die, die dabei sein dürfen. Die man oft spüren kann. „Kostbarster Unterricht an den Sterbebetten“. Weil der Webmeister des Lebens selbst da ist, wo wir loslassen, zurücktreten müssen. Darum glaube ich fest, dass sie nicht allein war, als sie ging und doch auch für sich gegangen wäre, hätte er da sein können. Er hätte diesen heiligen Raum gar nicht betreten können. Gott war längst da, wo er nicht war und auch nicht sein konnte. Das glaube ich und es hilft mir leben.

Er glaubte etwas ganz anderes. Dass sie allein war, als sie ging. Dass sie verlassen war, als er nicht da sein konnte. Dass da nichts und niemand war, der sie erwartet hat, dass mit dem Tod alles zu Ende ist. Und deshalb ist es für ihn so furchtbar gewesen, dass er nicht da sein konnte, als sie starb, dass er ihr diesen letzten Liebesdienst nicht erweisen konnte, ihre Hand zu halten. Was für eine tiefe Ohnmacht, wenn ich an diesem Punkt alles von mir und nichts von einem ganz anderen erwarte, wenn ich an diesem Punkt glaube, das war's, da kommt nichts mehr. Das hat mich lange beschäftigt.

Er hat dann noch eine ganze Weile am Totenbett seiner Mutter gesessen und Abschied genommen. Und es hat ihn – für ihn selber ganz überraschend- ruhig gemacht. Mich hat es nicht überrascht.

Weil etwas vom diesem Mysterium einfach noch immer im Raum war, etwas von diesem Frieden, der einzieht, wenn wir wegziehen von hier. Weil etwas von diesem seidenen Faden im Gegenlicht noch einmal aufleuchtet, davon, dass wir gehalten sind von Anfang an und auch am Ende noch. Amen

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