Diakonie-Sonntag

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Diakonie-Sonntag

# Archiv Predigten 2017

Diakonie-Sonntag

Liebe Gemeinde,

vor kurzem habe ich eine ältere Frau besucht, die noch nicht lange ihren Mann verloren hat. Irgendwann in unserem Gespräch erzählte sie mir von einer Begebenheit, die ich so schillernd wie sprechend finde und Ihnen deshalb nicht vorenthalten möchte. Sie erzählte mir von einer dementen Bewohnerin, nennen wir sie Martha, mit der sie sich angefreundet hat, ohne dass sie sie eigentlich kennt. Meistens ist Martha innerlich sehr weit weg und nicht erreichbar, manchmal aber ist sie plötzlich da, sehr klar und sehr orientiert. So auch, als sie eines Tages plötzlich draußen im Park vor ihr und ihrem damals noch lebenden Mann stehen blieb und – anders kann man es wohl nicht sagen - die beiden anstarrte.

"Ich wusste sofort, dass sie eigentlich auf unsere Hände starrte", erzählte mir die Frau, "denn wir saßen dort draußen auf der Bank in der Abendsonne, Hand in Hand". Sie baute sich auf vor uns und sagte: "Das hätte ich auch gern!". Sprach's, drehte sich um und ging weg.

Diese Episode hat sie sehr aufgewühlt. Es ließ ihr keine Ruhe und nach kurzem Überlegen stand sie auf und lief ihr hinterher. Und als sie sie erreicht hatte, da hielt sie sie fest und sagte: "Aber Ihre Hand hält Gott doch auch." Da schaute Martha sie traurig an und sagte: "Das reicht mir aber nicht!".

"Das reicht mir aber nicht!" Manchmal muss es eben auch eine richtige Hand sein, die die meine hält. Manchmal muss es eben ein Mensch aus Fleisch und Blut sein, dem ich in die Augen sehen, den ich hören kann mit meinen eigenen Ohren, dem ich mein Leid klagen und meine Freude, mit dem ich mein Leben teilen kann.

Alles theoretische Wissen um die Liebe Gottes, alle dogmatische Richtigkeit von der Freiheit eines Christenmenschen und der Erlösung durch Jesus Christus nützen doch nichts, wenn sie schöne Worte und dogmatische Gedankenübungen bleiben und meine Realität nicht verändern, wenn ich nichts spüren kann davon. Darum muss es manchmal muss eben doch eine Hand sein, ein Mensch, ein Gegenüber aus Fleisch und Blut, in denen die Liebe, die mich meint, erfahrbar wird. Manchmal müssen es eben Menschen sein, damit diese Liebe erfahrbar wird als Herz und Hand, als Mund und Fuß, sinnlich, real.

Und so oft passiert genau das auch in unserem Leben. So oft, dass es uns gar nicht auffällt und wir den Zusammenhang nicht erkennen.

Alle Eltern, die fasziniert und staunend auf das Wunder in ihren Armen schauen und sich nicht sattsehen können an dem Geschenk, das ihnen anvertraut ist, sind solch Verliebte um Gottes Willen, so von ihm in Dienst Genommene. Sie sind schon ganz am Anfang die engsten Mitarbeiter Gottes an ihren Kindern, wenn sie ihnen seine Liebe in Körper und Seele streicheln, wenn sie in ihrer Vertrauenswürdigkeit und Verantwortung den Grundstein legen, damit Vertrauen und Verantwortung auch in ihren Kindern wachsen als kostbare Güter. Wann immer wir in einem fremden Menschen den Menschen erkennen und uns ihm zuwenden, sind wir so unterwegs, teilt Gott seine Güte auch durch uns aus. Wir wandeln nicht nur auf den Spuren Jesu, wenn wir ihm nachfolgen. "Wir werden einer dem anderen zum Christus", wie Luther es in seiner Freiheitsschrift so schön sagt, befreien andere in seiner Spur, erlösen uns im Erfahren des Geliebt- und Angenommenseins.

So viele Menschen hier in dieser Gemeinde, die sich für andere Menschen in Dienst nehmen lassen. So viel ehrenamtliches Engagement neben den Hauptamtlichen – egal, wo Sie hinsehen -, ganz konkret, damit zusammen bleibt, was zusammen gehört: Glaube und Handeln, Gottvertrauen und Gottesdienst mit Herz und Hand.

Weil Glauben und Leben sich nicht auseinander dividieren lassen und weil ein Glaube, der sich selbst genug ist und sich selbst für den Nabel der Welt hält, ohne den Nächsten zu sehen, nicht der Glaube ist, von dem Christus spricht. Christus hat uns vielmehr gezeigt, dass Gottvertrauen frei macht von all dem, was uns so selbstsüchtig gefangen nimmt in diesem Kreisen um sich selbst. Erst dann werden wir wirklich frei für andere, wenn wir nicht mehr besorgt sind um uns selber.

Diakonie wird immer zur Kirche gehören. Gehören müssen auch; denn Diakonie ist die tätige, die erfahrbare Seite der guten Nachricht Gottes, die uns gilt und die uns dann, wenn sie uns wirklich erreicht, auch schon aufgetragen ist, um sie weiter zu geben. Es geht eben nicht um ein Fürwahrhalten von Inhalten, um keine intellektuelle Übung, sondern um einen Lebensstil, um eine Botschaft, die erkennbar werden will in einer konkreten Haltung, in einem konkreten Alltag, den man sehen kann.

Die sich immer dann zeigt, wenn es um Menschlichkeit, um Barmherzigkeit, um Achtsamkeit und Respekt gegenüber dem Anderen, der mir der Nächste wird, geht.

In Matthäus 25, 35-36 sagt Jesus:

Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.

Das klingt nur für den komisch, der nicht hinsehen kann. Dessen Augen gehalten sind und der deshalb im Nächsten Christus nicht erkennen kann. Mutter Theresa soll einmal gesagt haben: "Zuerst denken wir über Jesus nach und dann gehen wir hinaus, um herauszufinden, wie er sich verkleidet hat." Was für eine Idee. Was für eine wunderbare Umsetzung dieser Worte Jesu. Die Verkleidung Christi kann verschiedene Formen annehmen und jede einzelne ist wichtig. Vergessen wir das nicht, wenn er uns in fremden Kleidern begegnet.

In dieser Gemeinde hat es schon immer ein großes diakonisches Engagement gegeben, viele Menschen, die bereit waren und sind, sich mit ihren Gaben und Talenten, mit ihrer Zeit und Ihrem Geld einzubringen, damit genau das geschieht, damit neben der Sorge für die eigene Seele der Mensch an meiner Seite, egal ob nah oder fern, vertraut oder fremd, nicht unversorgt bleibt. Ich will ein paar Initiativen aufzählen.

  • du!mittendrin
  • Friedhof
  • MitDachEssen
  • Geburtstagsbesuchsdienst
  • Gemütlicher Nachmittag
  • Bastelkreis
  • Kleiderkammer
  • Fair-Handelsgruppe
  • Pfadfinder
  • Kirchenasyl
  • Kirchenkaten
  • Runder Tisch Blankenese
  • Tansaniagruppe Marafiki
  • Flüchtlingsberatung
  • Buntes Haus
  • Zeitstifter

um mal welche namentlich zu nennen.

Es gibt hier bei uns – und Sie werden das im Anschluss an den Gottesdienst im Gemeindehaus auch sehen - jede Menge ehren- und auch hauptamtliches Engagement genau an dieser Stelle. Menschen, die sich dem Helfen verschrieben haben, dem Helfen mit Herz und Hand, der Diakonie.

Der Begriff "Diakonie" meint im wörtlichen Sinn "dienen", und er bedeutet für uns als Christenmenschen, den Menschen als Mensch zu begegnen und zwar dort zu begegnen und zu helfen, wo sie konkrete Unterstützung und Hilfe brauchen. Dia­konie, so verstanden, meint den ganzen Menschen mit all seinen Bedürfnissen, den materiellen, den seelischen, den emotionalen und auch den geistlichen Anliegen zu antworten.

Das ist bewusst sehr weit gefasst und das ist auch gut so. Es wirkt dem engen Verständnis entgegen, das bei vielen beim Wort "Diakonie" auftaucht und das Thema dann gedanklich weiterschiebt an Diakonische Institutionen, an Pflege und Krankenhaus, an Profis in diesem Bereich. Diakonie aber hat zuallererst mit einer Haltung zu tun und nicht mit einer Handlung und schon gar nicht mit Institutionen.

Hier bin ich und ich gehe mit offenen Augen durchs Leben. Und ich bin bereit, zu dienen, meinen Beitrag zu leisten im Gewebe unseres Miteinander. Mit dieser Haltung. Der Wurzelgrund für Diakonie, egal in welcher Form, ist schlicht und einfach das Gebot der Nächstenliebe. Dieses Gebot gilt nicht erst seit Jesus, wie viele Zeitgenossen immer wieder meinen, sondern ist bereits tief im Alten Testament verankert, so z.B. im 3. Buch Mose 19:18: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

Das ist der Unterbau, die Grundlage, der Bogen. Wer bei Gott eintaucht, taucht beim Armen wieder auf, hat Pastoraltheologe Paul-Michael Zulehner einmal gesagt. Ich würde noch allgemeiner sagen: taucht beim Nächsten wieder auf. Wir sind nicht als Einzelgänger gemeint.

Weil Gott will, dass wir seine Liebe nicht für uns behalten, sondern weitergeben an jeden Nächsten, den er uns in den Weg stellt.

Das ist das Fundament, auf das alles aufbaut. Wenn wir das ernst nehmen, folgt daraus ein diakonischer Lebensstil, folgen aus dieser Haltung Taten, Handlungen, wird die empfangene Liebe konkret. Da, wo sie ankommt. Und dann auch da, wo sie weitergegeben wird. Das ist die Reihenfolge und der Einstieg in einen Segenskreis, den Sie alle kennen, die Sie im diakonischen Bereich arbeiten oder sich so verstehen.

Frau Santema kümmert sich in ihrer halben Stelle darum, die vielen Menschen, die sich hier bei uns genau so verstehen, miteinander zu vernetzen und zu begleiten. Damit möglichst viel von all dem, was es hier gibt, möglichst gut zu den Menschen gelangt, die es brauchen. Wie viele von ihnen arbeiten ganz im Hintergrund mit erstaunlichem Einsatz und so oft, ohne dass man sie groß wahrnimmt. Wenn Sie es nicht täten, wir wären richtig ärmer als Gemeinde. Darum an dieser Stelle ein großes Dankeschön an Sie alle, die Sie so selbstverständlich und so treu tun, was Sie sich vorgenommen haben. Es ist ein wichtiger Dienst für all die Menschen, die davon erreicht werden und – das erzählen viele von Ihnen immer wieder - es ist ein Geschenk, das zu einem zurück kommt. Danke!

Darüber hinaus ist eine zentrale Aufgabe der Stelle, die Frau Santema innehat, Ansprechpartnerin zu sein für Menschen, die Unterstützung und Hilfe brauchen, Vermittlerin, Koordinatorin. Ganz praktisch. Hier werden Sie geholfen, sozusagen. Frau Santema können Sie anrufen. Frau Santema kann Sie beraten, wenn Sie wissen müssen, wo Sie Auskünfte bekommen können, an wen Sie sich wenden müssen, egal, ob Sie eine altengerechte Wohnung brauchen, oder Pflege suchen, egal, ob Sie dringend einen Oma/Opa-Dienst brauchen oder nach Palliativpflegediensten hier in der Umgebung suchen oder eine Betreuung organisieren müssen. Frau Santema hat sich inzwischen einen guten Überblick erarbeitet über die verschiedensten Anbieter, Initiativen und Einrichtungen hier im Umkreis und hält die entsprechenden Informationen vor, um Ihnen weiter zu helfen, wenn man sich allein bei der Suche durch den Dschungel der Angebote verlassen und mutlos fühlt oder gar keine Ahnung hat, wo man denn überhaupt suchen sollte.

Und dann kann sie auch ganz konkret innerhalb unserer Gemeinde beraten und weitervermitteln zu den vielfältigen Möglichkeiten der Unterstützung, die wir selber vorhalten und die Sie nachher im Gemeindehaus kennen lernen können, wenn Sie sie noch nicht kennen.

Und dann ist sie ganz besonders gerade an dem Projekt Zeitstifter dran, das Menschen miteinander in Kontakt bringt, die etwas anbieten können und die, die genau das Angebot suchen. Einer ist allein und kann das Haus nicht mehr verlassen und ein anderer macht sich gern hin und wieder auf und besucht jemanden. Liest etwas vor, schenkt etwas von seiner Zeit und seinem Leben, um Einsamkeit zu lindern, um Lebensmut neu zu wecken, um selber neue Kontakte zu knüpfen. Jemand traut sich allein nicht mehr raus, hat aber niemanden, der ihn mal auf einen Spaziergang begleitet oder in ein Café. Jemand braucht eine Begleitung zu einer Behörde oder einem Arzt und eine andere schenkt diese Zeit und diese Zuwendung gerne, von Herzen. Es geht um einen überschaubaren Zeiteinsatz und um klar umrissene Aufgaben. Um darum, das, was man geben kann, sinnig mit dem zusammen zu bringen, was gesucht wird. Wir suchen immer noch mehr Zeitstifter in den unterschiedlichsten Bereichen. Melden Sie sich, sprechen Sie Frau Santema an, hören Sie sich an, was die, die diese Arbeit tun, berichten. Es sind Geschichten aus dem Segenskreis Gottes, kann ich Ihnen sagen. Es kommt soviel zurück, es entsteht so viel Neues, dass das allein schon ein Segen ist. Und für viele, die angewiesen sind auf die, die sich aufmachen, macht es einen richtigen Unterschied an Lebensqualität.

"Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.", heißt es im 1. Petrusbrief. Manchmal muss es eben ein Mensch aus Fleisch und Blut sein, dem ich in die Augen sehen, den ich hören kann mit meinen eigenen Ohren, dem ich mein Leid klagen und mit dem ich meine Freude, mit dem ich mein Leben teilen kann.

Seien Sie dieser Mensch. Amen.

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