02/07/2024 0 Kommentare
Quasimodogeniti: 1. Petrus 1,3-9
Quasimodogeniti: 1. Petrus 1,3-9
# Archiv Predigten 2016
Quasimodogeniti: 1. Petrus 1,3-9
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 1. Petrus 1,3-9:
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit. Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.“
Liebe Gemeinde,
„alles wird gut!“, könnte man zusammenfassend die Botschaft dieses sperrigen Predigttextes auf den Punkt bringen. „Alles wird gut!“
So hat sich auch die Moderatorin Nina Ruge immer verabschiedet am Ende Ihrer Show „Leute Heute“. Alles wird gut. Eigenartig fand ich das, wann immer mir dieser Abspann unterkam. Dass eine Fernsehmoderatorin, die sich mit Prominenten und deren Soaps befasst, den Zuschauern am Ende ihrer Sendung noch etwas Tröstliches mit auf den Weg geben wollte. Wie kommt sie darauf, habe ich mich gefragt. Wie kommt sie dazu und wie will sie das denn überhaupt wissen. „Alles wird gut!“ „Alles wird gut!“, sagt die Mutter, um das kleine Mädchen zu trösten, dass sich das Knie aufgeschlagen hat und bitterlich weint oder dem kleinen Jungen beizustehen, der Angst hat vor der Spritze beim Kinderarzt. „Es wird ja alles gut!“ Versuche, zu trösten. Oft gelingen sie. Dabei wissen wir, dass das schon im Kindesalter manchmal nicht stimmt. Klar, das Knie heilt in aller Regel folgenlos. Sicher, die Tetanusspritze tut ein bisschen weh und der Arm macht sich noch ein bisschen länger bemerkbar, aber dann ist auch wirklich alles wieder gut. Und doch gibt es natürlich schon im Kleinkindalter auch ganz andere Erfahrungen. Es wird eben nicht alles wieder gut, selbst wenn wir es uns noch so sehr wünschen. Und trotzdem wirkt die Magie dieser Worte überraschend oft. Trotzdem ist es beruhigend, wenn jemand, dem man es zutraut, mit Autorität sagt: Alles wird gut.
Genau das sagt der Verfasser des ersten Petrusbriefes : Alles wird gut! Das ist eure Hoffnung. Darüber und darauf könnt ihr euch freuen! Als ob, möchte man doch sagen, oder?! Wenn man erwachsen geworden ist und über das aufgeschlagene Knie und die Tetanusspritze raus ist, wenn man begriffen hat, dass es wirkliche Anfechtungen, wirkliche Bedrohungen, gerechtfertigte Angst gibt und Erfahrungen, die einem die Hoffnung auf ein „alles wird gut“ aus der Hand schlagen. Es ist eben nicht alles gut! Und ob alles gut werden wird, das steht doch noch dahin, oder ?! An Problemlagen mangelt es doch nicht in diesen Tagen. Wohin wir kommen mit unserer Flüchtlingspolitik, ob die Idee Europa diese Nagelprobe überhaupt übersteht, ob wir es schaffen, so viele Menschen so vieler unterschiedlicher Herkünfte, Hintergründe, Religionen, Geschichten friedlich zu integrieren in unser Land, in unsere Gesellschaft, steht doch noch dahin, oder ? Ob es uns gelingt, dem Terror zu antworten ohne neuen Terror zu provozieren, dem Wahn fanatischer Eiferer einen aufklärerischen friedlichen anderen Geist entgegen zu setzen, der die Würde und das Recht Andersdenkender achtet und dafür einsteht, ohne selbst phobisch zu werden, gewalttätig oder depressiv. Steht doch alles noch dahin. Alles wird gut! Ist das nicht Pfeifen im Wald gegen die Angst?
Auch wenn die Situation damals, als der 1. Petrusbrief verfasst wurde, anders aussah als heute, heil war die Welt auch damals nicht. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus schreibt er seinen Brief als eine Art „Rundschreiben“ an die Gemeinden in Kleinasien, weil eben so sonnenklar war, auch damals schon, dass nicht alles gut ist. Auch nicht, wenn einer sich hat taufen lassen und Christ wurde. Denn die Welt, in der er lebte, die Welt, in der wir leben, ändert sich ja dadurch nicht. Bekommt ja nicht auf einmal einen rosaroten Schimmer. Uns wird ja nicht eine Glückshaube übergeworfen, die uns schützt vor den Unbilden des Lebens. Die Welt verändert sich dadurch nicht. Im besten Fall sind wir es, die sich verändern und andere werden und als solche dann im besten Fall auch diese Welt verändern können. Für die Christen der ersten Jahrhunderte wurde das Leben in aller Regel eher schwieriger als leichter, wenn sie sich zu ihrem Glauben bekannten! Sie waren Verfolgungen ausgesetzt, sie wurden diskriminiert, sie hatten nicht selten zu leiden. Offenbar gab es nicht wenige, die sich von ihrer Bekehrung mehr erwartet hatten. Nicht nur diesen spektakulären Moment, als ihnen Gott aufleuchtete in diesem Jesus von Nazareth und sie zu glauben begannen, sondern dass von nun an alles leuchtend hell, leicht, liebevoll, einfacher jedenfalls sein würde. Gerade denen macht der Verfasser des ersten Petrusbriefes nun klar, dass die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben, das Erwartbare, das Normale sind, die Regel, nicht die Ausnahme. Eben gerade, weil sich außen nichts ändert durch die bewusste Entscheidung für Gott und den Glauben an ihn. Die Welt bleibt, wie sie ist. Wie man unter solchen Bedingungen – in dem Wissen und mit der Erfahrung, dass eben nicht alles gut ist im Leben, auch nicht, wenn man Christ ist! –, leben kann, lebendig, froh, getrost, weit im Herzen, den Menschen und dem Leben zugewandt, darum geht es in unserem heutigen Predigttext. Unter den Bedingungen der Existenz, hätte Tillich, der große Theologe des letzten Jahrhunderts, das genannt, was uns hier auf Erden zu schaffen machen kann. Das Leben, so wie es eben ist, mit allem, was uns kollektiv, mit allem, was es mir persönlich auf den Teller legt. Und da wird es überhaupt erst spannend, finde ich, weil der Glaube da Bodenhaftung bekommt, wo es konkret wird und konkret etwas bedeutet und sich nicht in weltfremde Ideen verabschiedet. Dieser Glaube hat mit Ostern zu tun, mit dem, was unser Verfasser „wie neu geboren sein“ nennt. Das äußere Zeichen dafür in unserem Glauben ist die Taufe. Sie stellt uns in einen neuen Zusammenhang und unterstellt uns einem anderen Geist. Ganz bewusst wurde früher bei der Taufe die Absage an das Böse zelebriert im Taufritus. Das ist – in uns heute fremden Worten- ja nichts anderes als eine Neuausrichtung, als die Verpflichtung auf einen anderen Referenzpunkt als uns selbst oder diese Welt. Mit der Taufe erkennen wir einen über uns an, der nicht von dieser Welt ist und glauben ihn als jemanden, der dieser Welt über ist. Im Wasser der Taufe sollen wir gleichsam gereinigt sein und nur noch Gott gehören. Darum trugen die Christen früher, wenn sie in der Osternacht getauft worden waren, weiße Kleider und trugen sie als Erkennungszeichen. Darum heißt der heutige Sonntag „weißer“ Sonntag. Wir sind wiedergeboren für diese Welt und unseren Ort in ihr. Das ist das Geheimnis von Ostern. Die innere zunächst ahnende Gewissheit, dass die Macht dieser Welt gebrochen ist. Dass der Tod nicht das letzte Wort hat und deshalb auch in unserem Leben die Erfahrungen, die nach Tod schmecken, nicht das letzte Wort haben werden. Auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint. Wie bei diesem Wanderprediger aus Nazareth, der in den Augen der Welt gescheitert ist am Kreuz, während die Augen des Glaubens sehen können, warum er diesem Scheitern nicht ausweichen konnte und wollte. Wie bei dem Liebhaber des Lebens selbst, den Jesu Verurteilung und Hinrichtung Lügen zu strafen schien bis im Ostermorgenrote eine andere Wahrheit aufleuchtete und Menschen nachhaltig veränderte. Die Jünger Jesu, sie waren ja noch anders unterwegs als Paulus später, der Jesus zu Lebzeiten nicht selber kennen gelernt hatte. Sie waren die, die er zu seinen Jüngern gemacht hatte, zu seinen ersten Nachfolgern. Mit ihnen hat er gelebt und sie gelehrt. Und selbst sie haben es nur verstanden so gut sie konnten. Sie sind gewachsen im Laufe der Zeit, sie haben dazugelernt und sind doch zutiefst menschlich geblieben, anfällig für Gelten wollen, neidisch, engstirnig, ängstlich. Sie waren nicht anders als wir, obwohl sie mit ihm umhergezogen sind, obwohl sie ihn sahen und mit ihm sprachen, obwohl sie miterlebt haben, wie er den Menschen den Himmel aufgeschlossen hat und ein neues Bild von Gott in ihr Herz gelegt. Trotzdem begreifen sie lange Zeit nicht, was damals eigentlich geschah. Erst später, erst im Nachhinein, wird ihnen das eine oder andere aufleuchten und klar werden. Wie doch auch uns so oft erst im Nachhinein das eine oder andere aufleuchtet und klar wird. Am Karfreitag und in den Tagen danach begreifen sie nichts, sehen auch sie nur – wie alle Welt- den Tod, das Scheitern, das Ende. Verstehen sie nichts, gar nichts. Glauben sie nichts mehr. Stellen sie alles in Frage, was vorher war. Da ist kein Sinn! Und was wir Ostern nennen, dieses „es geht weiter“, dieses „da kommt noch was“, dieses „Gott hat ihn auferweckt“, ist ja vermutlich ein Prozess gewesen und keine plötzliche Eingebung. Immer wieder werden sie ihm begegnen müssen nach Ostern - Thomas muss ihn sogar anfassen, seine Wunden fühlen - bis sie vorsichtig, tastend beginnen, Vertrauen zu fassen zu diesen Begegnungen im Zwielicht und es glauben, was sie sehen. Wiedergeboren werden, das heißt ja nicht: alles auf Anfang. Alles noch mal von vorn, sondern: da, wo du bist, kannst du neu beginnen. Der 1. Petrusbrief sagt : Du bist längst neugeboren. Leb es. Nicht alles auf Anfang, nicht noch mal von vorn. Das geht nicht. Auch die Jünger können den Weg nicht noch mal gehen. Was gewesen ist, ist gewesen. Aber das, was beginnt, beginnt im Licht dieses Morgens neu. Da, wo du stehst, kommt Ostern in dein Leben, überraschend, überwältigend, unglaublich – wie bei den Frauen am Grab, wie bei den Jüngern. Nicht an deinem Sehnsuchtsort, sondern an dem Ort, an dem du stehst. Da wirst Du an Ostern neu geboren für das, was kommt.
Was das bedeutet, das kann kaum jemand schnell beantworten und auch kaum jemand einfach. Und das liegt in der Natur der Sache. Weil Ostern keine Erfahrung von dieser Welt ist, sondern eine Gotteserfahrung in dieser Welt. Wem etwas von Ostern aufgegangen ist, der ist vorher durch eine Passion gegangen. Der weiß etwas nicht nur vom Sterben Jesu, sondern auch von seinem eigenen Sterben lange bevor das Leben zu Ende ist. Der weiß etwas vom Grab der eigenen Hoffnungen, der weiß etwas von Scheitern und Demütigung und Am–Ende-Sein. Der kennt sein Golgatha, wenn auch in anderen Bildern. Der weiß um Verrat und Einsamkeit und die Angst vor Gottverlassenheit. Der hat an Jesu Weg durch Tod und Auferstehung eine Spur für das eigene Leben, für die eigene Passion ablesen können, aus der Hoffnung in das eigene Leben hineingekeimt ist. Und hat genau wie die drei Frauen am Morgen in aller Frühe etwas erlebt, was seine Sicht der Dinge auf immer verändert hat. Dafür ist Ostern die Chiffre, das Bild. Für diesen Weg, den Jesus Christus als erster beschritten und erkundet, den er glaubwürdig gemacht hat. Dass es ein „nach Golgatha“ gibt, das über den Karfreitag hinausreicht. Darin wirklich „für uns“. Damit wir unseren Weg finden – wie er - durch Golgatha und Karsamstag hindurch zu dem, der uns in Leben ruft, immer! Ostern als reine Tradition taugt nicht viel. Wenn's hoch kommt, eine im besten Falle interessante, ansonsten ziemlich abgefahrene Geschichte. Ostern geht es um uns, um unser Leben, unser Wieder-ins–Leben-Kommen, unser Wieder-lebendig-Werden, unser Wieder-Auferstehen, unsere neuen Anfänge da, wo alles zu Ende scheint, nicht um Gedankenspiele. Für mich ist es komplett uninteressant, was es mit dem leeren Grab auf sich hat. Da kann man noch so lange buddeln in Israel, noch so viele Hypothesen aufstellen zu Leichentüchern und Enthüllungsstories liefern. Es geht bei Ostern nicht um ein Medienspektakel, nicht um einen großen Zauber. Ostern, das ist die Erfahrung einer großen Wandlung mitten in den Todeserfahrungen des Lebens, die Gnade einer neuen Geburt, die Auferstehung aus dem Grab der Hoffnungen. Das, was nach den Berichten der ersten Zeugen am Ostermorgen in aller Frühe passiert sein soll, das entzieht sich dem Wunsch nach Klarheit und eindeutiger Beschreibung. Es scheint fast, als ließe sich das Eigentliche nur schwer beschreiben und – wenn überhaupt - nur in Bildern. Weil es unsere Begriffe und unser Begreifen übersteigt, weil es sich der Präzision objektiver Beschreibung entzieht. Denn es ist durch und durch subjektiv und es verlangt eine durch und durch persönliche Antwort. Eine, die aus dem Herzen kommt und keine, die über den Verstand nicht hinausgekommen ist. Ostern mutet uns eine große Reise zu, einen beherzten Sprung durch unsere Abgründe und Ängste in die Arme Gottes. „Ich springe nicht gern. Wer springt, fällt in Gnade!“, dichtet Günther Grass. Ostern mutet uns zu, es dennoch zu tun. Obwohl es uns Angst macht, obwohl wir zögern, obwohl wir nicht wissen, was mit uns passiert, wenn die dunklen Erfahrungen des Lebens an uns nagen. Ostern mutet uns zu, Jesus seinen Gott zu glauben, gegen unsere Angst und unser Misstrauen an. Gottes Möglichkeiten zu glauben angesichts unserer Ohnmacht, Gottes Liebe zu glauben, die auch uns durchtragen wird, komme, was wolle. Ostern mutet uns zu, dem lebendigen Gott in die Hände zu fallen, an Ostern zu glauben auch für uns. Wer je gespürt hat, dass Gott ihn hält, wo kein Boden mehr unter den eigenen Füßen war, dass er trägt, wo die eigene Kraft am Ende ist, wem ein Weg aufgemacht wurde, wo alles unwegbar schien, der muss davon reden irgendwann. Weil er nicht anders kann. Und spürt irgendwann, dass es stimmt, was der 1. Petrus-Brief sagt. Hans-Ulrich Treichel sagt es in einem seiner Gedichte so:
Schlimmstenfalls wird aufgeräumt In Herz und Seele Aug und Ohren Schlimmstenfalls ist ausgeträumt Was wir wollten längst verloren Schlimmstenfalls geht alles schneller Auf jeden Biss ein leerer Teller Schlimmstenfalls fehlt uns der Mut: Schlimmstenfalls wird alles gut.
Amen
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