Ostersonntag: Mark 16,1-8

Ostersonntag: Mark 16,1-8

Ostersonntag: Mark 16,1-8

# Archiv Predigten 2016

Ostersonntag: Mark 16,1-8

Liebe Gemeinde, frohe Ostern!

Da, wo die Nacht zu Ende geht und der neue Morgen soeben beginnt, wo der Tau noch auf dem Morgen liegt; die Wärme der Sonne aber noch nicht ausreicht, den Nebel zu vertreiben. Davon erzählen diese Worte. Dieser alte Ostergruß führt uns ein in jene eigentümliche österliche Feierlichkeit. Ein Engel erzählt es zuerst den verwirrten Frauen im leeren Grab: Der Herr ist auferstanden. Und später sagen es dann auch die anfangs skeptischen Jünger: Er ist wahrhaftig auferstanden.

Diese Worte erzählen von der Feierlichkeit des Neuwerdens, sie lassen uns ahnen von einer Ganzheit, von einem Heilsein, von einer sehnsuchtsvollen Freude. Da, wo frischer Schnee noch ganz unberührt ist und man sich nicht traut, den ersten Schritt zu gehen, weil die Unversehrtheit zerstört wird, da liegt diese Feierlichkeit des Neuseins vor uns - oder wenn die Luft zum ersten Mal nach Frühling schmeckt – und man diesen Augenblick festhalten möchte, weil man so sehnsuchtsvoll auf ihn gewartet hat. Wenn Verliebte es nicht abwarten können, sich wiederzusehen, dann wissen sie um die feierliche Freude des Lebens. Da, wo man ein neugeborenes Kind zum ersten Mal in den Arm nimmt. Und da, wo man einen Menschen in den Tod begleitet und dabei ist, wenn er seinen letzten Atemzug tut.

Eine verborgene Heiligkeit liegt in all diesen Momenten, weil sie uns herausholen aus unserem "menschlichen Lebensgetriebe", wie Martin Buber das nennt. Und er meint die Lebenswelt, die wir uns schaffen und die wir versuchen zu beherrschen, indem wir ihr Namen, Aufgaben und Funktionen geben.

Eben das lassen wir hinter uns, wenn wir heraustreten aus diesem Getriebe. Eine Tür tut sich auf, die uns einen Blick erlaubt auf das Unbekannte. Nennen wir es geheimnisvoll, oder nennen wir es Wunder-bares, Wunder-volles, nennen wir es Erstaunliches…, oder auch nicht-Verstehbares, – es macht etwas mit uns: es berührt uns, eine Verbindung ist spürbar, wir sind in Beziehung. Wir sind getragen von einer Gegenseitigkeit.

"Nicht nur die Dürstenden suchen das Wasser; das Wasser sucht auch die Dürstenden." heisst es bei Rumi, einem persischen Sufi-Mystiker aus dem 13. Jahrhundert.

Die Ostergeschichte, wie die Evangelien sie erzählen, ist in diesem Sinne getragen von einer Gegenseitigkeit. Und es beginnt mit einem leeren Grab. Aber wie kann eine Beziehung wachsen – mit einem leeren Grab? Verliert und verirrt man sich nicht vielmehr in seiner Dunkelheit und Verlassenheit? Schürt und verstärkt so ein "schwarzes Loch" nicht alle möglichen Ängste, Sorgen und Befürchtungen? Läuft man da nicht ungebremst ins Leere und bleibt am Ende allein?

Dieses leere Grab ist ein Bild. Und es scheint mir ein Bild für den bilderlosen Gott selbst. Für den Gott, der nach jüdischer Tradition nicht bildhaft, nicht in Gestalt dargestellt und abgebildet werden durfte: Du sollst dir kein Bild machen von Gott. Lesen wir in den Geboten des Mose. Und Salomo, der den ersten Tempel in Jerusalem baut, sagt: Gott will im Dunkel wohnen. Was Jochen Klepper in seinem Lied – sehr wohl um dieses Dunkel wissend – dann weihnachtlich und auch österlich weiterführt, wenn wir singen: "...und hat es doch erhellt."

Die Frauen am Ostermorgen sind ganz in dieser Dunkelheit des Grabes.

Und Gott wird neu an diesem Morgen. Aber nicht Gott wird eigentlich neu an diesem Morgen. Gott wird neu erfahren, Gott ist mit einem Mal unmittelbar, tritt neu ins Erleben und ins Bewusstsein, größer, weiter, dichter… Markus spitzt es dramatisch zu – und es ist ja auch dramatisch.

... die Frauen gingen hinaus und "flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich."

Immer dann, wenn Gott nahe ist, spricht die Bibel von Gottesfurcht. Das meint aber nicht, dass Gott zum Fürchten ist, dass Gott gar ein angsteinflößender Gott wäre. Eher beschreibt es ein Überwältigtsein, mit den Worten Bubers - ein Heraustreten aus dem Lebensgetriebe, ein Herausgezogenwerden aus Vertrautem, Gewohntem und Sicher-Geglaubtem.

Wir stören uns an dem Wort Furcht. Thomas Müntzer, bekannt als der Gegenspieler Martin Luthers im deutschen Bauernkrieg, hat die Gottesfurcht in besonderer Weise abgegrenzt gegenüber der Menschenfurcht. "Die Furcht Gottes aber" - schreibt er - "muss rein sein ohne alle Menschen- oder Creaturenfurcht." Denn Angst vor Menschen – so sagt er – schafft Abhängigkeiten und mach unfrei. Gott selber kann nur empfunden und wahrgenommen werden, wenn man frei ist von jeder Kreaturenfurcht. Das ist die Unterscheidung zwischen erlebten und gefühlten Glauben – zwischen erlebter Gnade und einer bloß formulierten und bekundeten Glaubensannahme. Wer nur von der geglaubten Annahme lebt, hat noch nicht existenziell erfahren, worum es geht.

Wie schwer das ist, wie schwer die Angst wiegt, ist derzeit flächendeckend spürbar. Das hat damit zu tun, dass die Welt sich verändert. Dass unser Land sich verändert. Und wenn man nachfragt, dann hört man, dass Viele Angst davor haben, dass sich die Dinge verändern, weil wir nicht wissen, wie das wird und wohin das führt. Dazu erleben wir eine grausame, unberechenbare Terrorbereitschaft, die mit Menschlichkeit und Vernunft, mit Werten, mit Religion und Glaube rein gar nichts mehr zu tun hat.

Diese Angst ist verständlich und nachvollziehbar.

Blicken wir noch einmal auf das leere Grab: Mit dieser Angst laufen wir – wenn wir in dem Bild des leeren Grabes bleiben - ins Leere, von Angst geleitet irren wir umher in der Dunkelheit, verlaufen uns und bleiben Gefangene dieser ausweglosen Enge.

Wie kann dieses leere Grab ein Bild für Gott werden? Jesus ist nicht mehr da – und dennoch ist Gott näher denn je?

Als die Frauen früh am Morgen auf dem Weg zum Grab waren, da haben sie – neben dem, was sie an Ölen, Salben und Tüchern für den toten Leib mitgenommen haben – noch etwas bei sich: Ihre eigene tiefe Liebe.

Eine Liebe, die gewachsen ist in dem Leben, das sie mit Jesus erlebt und geteilt haben. Diese Liebe hat sie am Kreuz ausharren lassen, diese Liebe hat sie trauern und den Schmerz fühlen lassen, und diese Liebe bringen sie mit in die Leere des Grabes. Eine Liebe zu Jesus, und darin genauso eine Liebe zu Gott und zu den Menschen. So, wie Jesus selbst geliebt hat. Weil sie Gott fürchten, können sie die Menschen lieben, können sie die Kreaturenfurcht lassen.

In ihrer Liebe begegnet ihnen die Liebe Gottes; in ihrer Sehnsucht finden sie die Sehnsucht Gottes; in ihrem Schmerz treffen sie auf den Schmerz Gottes, in ihrem Brauchen finden Sie das Brauchen Gottes. Darin wird Gott neu. Das Wunder, das sich ereignet, liegt in den Dingen selbst. In dem Moment, – in der Fülle wie in der Leere. In der Schöpfung, in dem Blühen einer Rose, in einem wie gepudert daliegendem frisch verschneiten Feld, – in dem, was die Bibel nennt: Dass Lahme gehen, Taube hören, Hungrige gespeist werden. An diesem Morgen liegt das Wunder in der Leere eines verlassenen Grabes.

Und es braucht kein herrschaftliches Eingreifen, nicht das Eingreifen eines Gottes von jenseits des Mondes, das solches möglich macht. Dieser ferne Gott ist nicht der Gott der Bibel. Das Wunder ereignet sich in dem Moment - in einer Gegenseitigkeit.

Die Frauen haben sich nicht davon abbringen lassen, dass sie Gott brauchen, dass sie Gottes bedürftig sind. Dass ihre Liebe ein Gegenüber hat – und das auch an einem ortlosen Ort. Wo Tod und Dunkel sind. "Gott zu bedürfen bleibt des Menschen höchste Vollkommenheit." schreibt Dorothee Sölle. In unserm Sein, in unserem Tun und in unserem Lassen. In unserem Miteinander. "Gott zu bedürfen bleibt des Menschen höchste Vollkommenheit." In unserer Menschlichkeit können wir uns ohne Gott nicht denken. Das verweist uns auf all die anderen, mit denen wir zusammen aufgefordert sind, in Gemeinschaft Leben und Lebenswertes herzustellen und zu bewahren. Darin sind wir alle Teil von Gottes Liebe, von Gottes Welt und letztlich – von Gott selber

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