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Karfreitag: 2. Kor 5, 19-21
Karfreitag: 2. Kor 5, 19-21
# Archiv Predigten 2016
Karfreitag: 2. Kor 5, 19-21
Liebe Gemeinde!
Ein Kreuz wurde aufgerichtet, eines von vielen Kreuzen der Geschichte. Es steht in einer Reihe. Links und rechts von ihm weitere Kreuze, weitere Verurteilungen, weitere Grausamkeiten, weitere Hinrichtungen. Der Schrecken dieses einen Kreuzes ist nicht einmalig, die Reihe, in der es steht, zieht sich von der Schädelstätte Golgatha durch die Geschichte, nahm ihren Anfang lange vor dem Mann aus Nazareth und wird ihr Ende nicht finden, bis alle zu glauben wagen an den Frieden auf Erden, an die Versöhnung des Menschen mit seinem Nächsten und seiner Umwelt, mit seiner Geschichte, sich selbst und mit Gott.
Dieses eine Kreuz ist Zeichen vieler Kreuze, Zeichen der unzähligen Arten, Menschen in den Tod zu geben und sie vorher noch Spott und Qual fühlen zu lassen. Im Bild des an das Kreuz Genagelten spiegeln sich alle Opfer von Gewalt und Willkür, von Terror und Verachtung - in jedem einzelnen Menschen, zu Unrecht verklagt, entwürdigt und geschunden spiegelt sich das Antlitz des Gekreuzigten. Das Kreuz ist aufgerichtet und es lenkt unseren Blick hin zu den Menschen, die den Menschen ausgeliefert sind. Wir gehören an ihre Seite.
Das Kreuz unseres Glaubens, das Kreuz Jesu ist Zeichen der Sym-pathie, des Mitleidens Gottes, es steht da hoch aufgerichtet zwischen Tod und Leben, zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Gott und Mensch. Es ist das aufgerichtete unübersehbare und kaum anzuschauende, eindrückliche aber ohnmächtige, schreiende und doch kaum vernehmbare Wort von der Versöhnung. Wer das Kreuz sieht, aber das Wort von der Versöhnung nicht hört, der ruft dem Gekreuzigten hinauf, er sei umsonst gestorben, weil er umsonst gelebt habe. Und wer ein Kreuz schwarz-rot-gold anmalt und damit gegen Menschen protestieren geht, begeht Blasphemie.
„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
Gott war in Christus, denn er war in und mit Jesus von Nazareth; und nur wer das glauben kann, kann sagen, Jesus sei der Christus. Jesus ist das Bild Gottes. So wie ich ein Bild von meiner Frau oder meiner Familie auf dem Schreibtisch stehen haben und sagen könnte: das ist meine Liebe, das ist mein Leben – und es ist doch nur ein Bild, nicht meine Frau selbst und nicht die Liebe selbst, so mit Christus: Blicke ich auf ihn, kann ich sagen: so sieht Gott aus, so ist Gott. Jedes Bild Jesu, jedes Wort von ihm, jede Geschichte mit ihm ist mir deshalb wertvoll, heilig, denn es vermittelt mir, offenbart mir Gott - ist aber nicht Gott.
Und dieses schönste und wertvollste, wahre und bleibende Bild Gottes, nun entstellt und blutig aber immer noch, nein: jetzt erst in seiner ganzen Tiefe Bild Gottes, Jesus, spricht am Kreuz hin zu dem Menschen neben ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ So ist Gott, so großherzig, so voller Mitleid mit einem vom Schuld und Tod Gequälten. Was immer war mit diesem Menschen, der da neben Jesus am Kreuz hängt: er wird nicht erneut und noch fester genagelt ans Kreuz, weil er festgenagelt bleibt an seiner Schuld, an seiner Geschichte oder Vergangenheit: ihm wird Zukunft eröffnet, Leben in seiner ganzen Fülle. „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Und dann, ganz am Rande seines Lebens, in die Dunkelheit des Todes hinein, legt er sein Leben selbst in die Hände Gottes, die alle Zeiten und alles Leben umfassen: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Nichts mehr ist da, in dem er geborgen sein könnte, nicht mehr in der Zeit, nicht mehr im Leben, nicht in der Freundschaft oder Nähe lieber Menschen. Er droht zu verlöschen, er wurde geschändet, entehrt und nun droht ein Tod, in dem sein Name nicht erklingt, sein Gedenken nicht geehrt wird. Und er gibt seiner letzten Hoffnung Worte: dass er geborgen ist außerhalb seiner selbst, dass sein Zuhause dort ist, wo er nicht ist in seiner Unbehaustheit. Er betet aus dem alten Gebetsbuch Israels: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Er weiß einen Ort, wohin er kann mit sich selbst. Er hat ein Gegenüber, bei dem er aufgehoben ist. Aufgehoben mit allem, was ihn ausmacht, was er ist – Er, der Freund der Armen, der Vertraute, der Mann, dem die Menschen folgten – Er ganz im Leben, wie auch Er, der Erniedrigte, Verlassene, der ohnmächtig ausgeliefert ist – Er im Sterben. Er wurzelt in Gott, die Alte Kirche sagt: kommt vom Vater. Er sieht in Gott sein Ziel, Ziel im Sinne von Vollendung, von Ankommen, von Zuhause. Er geht zum Vater: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! So ist Gott: Die Brücke der Hoffnung, die den Weg vom Tod ins Leben weist, das Zuhause eines jeden Menschen jenseits aller Einsamkeit und Verzweiflung.
War da Trennung, dann war sie da, aber sie soll nun aufgehoben sein – ob nun im Leben oder im Tod. War da Schuld, dann bleibt sie, aber sie steht nicht mehr zwischen dem Menschen und Gott. Annahme und Versöhnung haben Jesus ausgezeichnet im Umgang mit den Menschen, Annahme und Versöhnung sind Eigenschaften Gottes. Aber sie heißen nicht, etwas zu vergessen, etwas ungeschehen machen. Versöhnung bedeutet, dass ich die Vergangenheit eines anderen, seine Fehler, seine Taten, seine Ehrlosigkeit nicht als Hinderungsgrund sehe, es neu mit ihm zu wagen, ihn anzunehmen. Nicht Schuld wird bejaht, sondern der Schuldige. Gott hasst die Sünde, aber er liebt den Sünder.
„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
Und wer nun Versöhnung oder Vergebung nicht bejaht als das Generalziel jeder Gemeinde, jedes Christen, der – so hart muss es gesagt werden – der exkommuniziert sich selbst. Und es ist nicht die Un-fähigkeit, sondern der Un-wille zur Versöhnung, der diese Exkommunizierung bewirkt. Darum die dringende Bitte des Paulus: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“.
Und wenn Gott in Christus war, dann kann Versöhnung mit Gott nicht da sein, ohne dass Versöhnung mit den Menschen geschieht. Das Kreuz Jesu fordert Versöhnung und deshalb fordert es einen unverstellten Blick auf diese Welt und zwar genau auf die Seiten dieser Welt, die kaum auszuhalten sind, Brüssel!, auf die man nicht blicken möchte, Syrien! Karfreitag verbietet die Verleugnung.
Dietrich Bonhoeffer schreibt in seiner Ethik:
„Nicht durch Zertrümmerung, sondern durch Versöhnung wird die Welt überwunden. Nicht Ideale, Programme, nicht Gewissen, Pflicht, Verantwortung, Tugend, sondern ganz allein die vollkommene Liebe Gottes vermag der Wirklichkeit zu begegnen und sie zu überwinden. Wiederum ist es keine allgemeine Liebesidee, sondern die wirklich gelebte Liebe Gottes in Jesus Christus, die das vollbringt. Diese Liebe Gottes zur Welt zieht sich nicht aus der Wirklichkeit zurück in weltentrückte edle Seelen, sondern sie erfährt und erleidet die Wirklichkeit der Welt aufs härteste. Am Leibe Jesu Christi tobt sich die Welt aus. Der Gemarterte aber vergibt der Welt ihre Sünde. So geschieht die Versöhnung.“
Versöhnung kann es nicht genug geben unter uns. Sie will nicht verurteilen, sie will nicht klein machen, sie will ja sagen zu einem Menschen und seiner Geschichte, zu einer Gemeinde und ihrer Geschichte. Gott hat das Wort der Versöhnung unter uns aufgerichtet; unversöhnlich Menschen in ihrem Versagen anzuklagen, wird durch das Kreuz durchkreuzt.
Versöhnung braucht vorher Schuldeingeständnis und Bitte um Vergebung. Versöhnung ist das Ja nicht zu einer Schuld, sondern das Ja zu einem Menschen mit seiner Schuld.
Es gibt hier für uns ein Ja Gottes. Ein Ja, das sich eingeflüstert hat, hörbar oder spürbar war, ein Ja, das mich Gott wie meinen Freund sehen lässt, wie einen Teil von mir, auf den ich nicht verzichten kann. Dieses Ja ist das schönste Wort, das wir haben, es ist das gütigste und barmherzigste Wort. Ein Wort, das sich ausbreiten will, wie der Himmel sich ausbreitet, das mit den Wolken zieht.
Für uns Christen wurde dieses Ja Gottes in Jesus, dem Christus, zur Wirklichkeit. Er lebte es und brachte es zu den anderen, vor allem zu denen, die unter dem Nein der Menschen lebten. Und er selbst stieß auf das Nein von Eigennutz, Machtmissbrauch und Feindschaft. Das Ja Gottes drohte, mit Jesus am Kreuz zu sterben, und diese Drohung zieht sich durch die Geschichte bis in unsere Zeit. Die Antwort Gottes auf das Nein der Menschen aber war und blieb wieder und wieder ein Ja des Lebens und der Liebe. Wenn Gott Ja sagt, wie könnten wir Nein sagen – Nein zur Versöhung, Nein zu Menschen in Not, Nein zu einer Religion, die wie unsere auch damit zu kämpfen hat, dass in ihrem Namen Dinge geschehen, die ihren Namen beschmutzten.
Unser Ja in einer globalisierten Welt bedeutet Verantwortung zu übernehmen für eine friedliche Zukunft zwischen Völkern und Religionen, sich dem jüdisch-christlichen und dem interreligiösen Dialog verpflichtet fühlen, und immer neu den Mut aufbringen, jeglichem Antisemitismus und seiner Tolerierung entgegengezutreten sowie rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen zu widersprechen. Dazu helfe uns Gott, der in Christus war und die Welt mit sich selber versöhnte und unter uns aufrichtete das Wort von der Versöhnung. Ein Wort wie ein Keim, wie ein Korn, das in uns wächst, ganz langsam nur, eine noch zarte Pflanze wird, die gehegt und geachtet werden will, die Zeit und Geduld braucht zum Wachsen. Versöhnung wächst langsam. Aber sie wächst, sie blüht auf, auch unter uns. Ostern ist nahe. Amen.
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