2. Advent 2015 - Jakobus 5, 7f

2. Advent 2015 - Jakobus 5, 7f

2. Advent 2015 - Jakobus 5, 7f

# Archiv Predigten 2015

2. Advent 2015 - Jakobus 5, 7f

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

kennen Sie diese wunderbare Werbung eines großen Schokoladenfabrikanten, wo Kindern ein Schokoei auf dem Tisch vor ihren Augen gelegt wird mit dem Hinweis : „Das gehört Dir. Du kannst es essen. Sofort. Wenn Du aber eine viertel Stunde abwarten kannst, ohne es aufzuessen, dann bekommt Du zwei von mir.“

Und es ist bezaubernd, auf diesen kleinen Gesichtern den inneren Kampf zu verfolgen, den jeder Mensch kennt, zwischen diesem Habenwollen jetzt sofort - man kann förmlich sehen, wie ihnen schon das Wasser im Mund zusammen läuft - und dem Verstehen: wenn ich jetzt zugreife, dann war`s das mit dem zweiten Ei. Wunderbar mitanzusehen, mit welchen Strategien sie versuchen, ihr Ziel trotz dieser fiesen Versuchung zu erreichen. Von Trommeln auf dem Tisch zu penetrantem Wegschauen, vom Raufen der Haare zum Aufstehen und Rumlaufen, alles dabei.

Und natürlich – es ist Werbung - essen sie am Schluss alle das Ei vor Ablauf der 15 Minuten auf, weil sie es einfach nicht aushalten können, auf diese leckere Schokolade zu warten.

Das wirkliche Experiment, auf das dieser Werbespot anspielt, fiel differenzierter aus. Da gab es die Kinder, die sofort die Schokolade in ihrem Mund verstauten und genüsslich verspeisten und die anderen, die abwarten konnten und dann mit dem zweiten Geschenk belohnt wurden. Es war eine umfangreiche Studie und es ging auch um eine Langzeituntersuchung darüber, welches Potential es hat und wie es sich auswirkt, wenn Kinder das lernen, abzuwarten, sich selbst zu disziplinieren, über dem kurzfristigen schnellen Genuss das Ziel dahinter nicht aus dem Auge zu verlieren.

Und es hat sich auf die Länge der Zeit gezeigt, dass die Kinder, die sich ganz grundsätzlich diese Fähigkeit erworben hatten, die Disziplin aufbringen konnten, es später im Leben in einflussreichere Positionen geschafft hatten, dass die, die sich mit beharrlicher Geduld und innerer Stärke und Zähigkeit gedulden konnten, auch in ganz anderen Zusammenhängen davon profitiert haben, auch im Bestehen schwieriger Phasen auf dem Lebensweg. Diese Fähigkeit hat sich in ihrem Leben sehr bewährt.

Dabei ist Geduld eine Tugend, die heute nicht sehr hoch angesehen ist. Gesellschaftlich ist der Trend schon seit längerem ein anderer.

„Wie heißt das Zauberwort“, hab ich mal eine Mutter ihren Sohn ermahnen hören. Er sollte sich zu bedanken. Wie heißt das Zauberwort? „Sofort“ war seine Antwort. Wie aus der Pistole geschossen.

Das ist das geheime Mantra unserer Tage. Sofort, jetzt gleich. Kein Verzicht, kein sich etwas Versagen. Wozu auch? Wie heißt das Zauberwort ?  Sofort! Und dann gibt´s Erdbeeren im Dezember und Lebkuchen sobald die Blätter anfangen, sich vom Baum zu verabschieden oder noch früher. Es soll möglichst keine Ladenschlusszeiten geben, sondern alles soll möglichst rund um die Uhr und gern an 365 Tagen im Jahr verfügbar sein (es gab mal eine Zeit, da war am Samstag Mittag Schicht im Schacht und bis Montag morgens konnte man gar nichts einkaufen, alles war zu, die Welt schaltete quasi einen Gang runter. Eine ganz eigene Stimmung war das – durchaus auch eine, die Langeweile mit sich bringen konnte, das will ich nicht verhehlen. So ein Sonntag Nachmittag kann schon ganz schön lang werden.... für ein Kind, wenn es keine Ablenkung gibt. Trotzdem war das Wochenende erfahrbar eine andere Spanne Zeit als der Rest der Woche, es gab eben so etwas wie Gelassenheit, wie Zeit am Meter. Heute pflanzt sich nicht selten auch am Wochenende der Stress der Woche in anderer Form fort und mit ihm das Tempo und die Verfügbarkeit aller Dinge.

Abwarten müssen ist für viele Menschen heute die Pest, nicht nur für Kinder. Warteschleifen am Telefon, Staus, Schlange stehen, bei der Post z.B. in diesen Tagen, da kann man schon schlechte Laune kriegen.

Ich weiß, wovon ich rede : Geduld gehört auch nicht zu meiner Grundausstattung. Geduld ist für mich immer noch ein harter Angang, und ich habe es mühsam lernen müssen, dass Warten ganz eigene Qualitäten ans Licht bringen kann und dass Tempo nicht immer hilfreich ist. Wir haben diese Fähigkeit zuzuwarten gesellschaftlich fast schon ein bisschen verlernt, scheint es mir manchmal.

Dabei ist es wunderbar, wenn nicht alles immer schon da ist. Es liegt ein ganz eigener Zauber auf der Welt, wenn man den Dingen beim Wachsen und Werden zusehen kann und darf, wenn Freude wachsen kann, wenn Vorfreude Raum sich Bahn bricht. Wenn es feste Zeiten gibt, ausgesonderte, besondere und nicht alles immer möglich ist. Wenn nicht schon vor dem Advent alles grell erleuchtet ist, sondern das Licht sich langsam auf den Weg durch das Dunkel des Dezembers macht. Bis es dann in tiefster Nacht in vollem Ornat erscheint. Wir bringen uns um etwas, wenn wir den Weg nicht mitnehmen, wenn wir zu viel Tempo haben und zu wenig Konzentration auf das, was langsam ankommen will. Wenn wir uns selbst nicht auferlegen können, es mit Geduld zu erwarten.

Der Predigttext für heute bespielt genau diese Kunst, die des Wartens, des geduldigen Zuwartens : Allerdings nicht die des ungeduldigen Wartens auf die Geschenke im Stiefel und unter dem Baum, sondern auf die Erfüllung ungleich größerer Sehnsucht, auf die man manchmal ganz schön lange warten muss. Davon erzählt der heutige Predigttext.

Er steht im Jakobusbrief, im 5. Kapitel, 7 und 8: „So seid nun geduldig, liebe Geschwister, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“

Die ersten Christen, Sie waren sich sicher, dass die Wiederkunft Christi und das Ende der Welt vor der Tür stehen. Sie waren überzeugt, dass das Wiederkommen des Herrn und damit verbunden das Endgericht und die Erlösung aller Gläubigen unmittelbar bevorsteht,  dass sie selbst es sogar noch erleben sollten. Bald bricht es vollkommen an, Gottes Reich. Jesus wird wiederkommen. Ganz bald. Das war die gemeinsame Überzeugung, das innere Hoffnungsband, mit dem sie verbunden waren.  

Bis dann immer deutlicher wurde: unmittelbar steht sie wohl doch nicht bevor, seine Wiederkunft, offenbar müssen wir wohl doch die Koffer noch einmal auspacken und uns dem Leben stellen, wie es noch immer ist: unvollkommen, nicht erlöst, ungerecht, noch immer. Weder Paulus noch Jakobus haben zu Lebzeiten das Kommen Christi erlebt. Und mussten damit leben, dass sie wohl doch noch mit der Geistesgegenwart Gottes, den sprechenden Zeichen, den Synchronizitäten, den vieldeutigen Wundern vorlieb nehmen mussten, weil das Kommen des Herrn, die ganze Wahrheit, die letzte Klarheit, das Heil der Welt noch immer ausstand.

Die ersten wurden offenbar langsam ungeduldig und fingen an zu zweifeln, wollten hinschmeißen. Wird nichts mehr. Umsonst gehofft. „Hoffen und harren hält manchen zum Narren“, wie es in dem bekannten Sprichwort heißt.

Da hinein sagt Jakobus : „So seid nun geduldig, liebe Geschwister, bis zum Kommen des Herrn“.

Leichter gesagt als getan, denke ich. Kommt doch sehr darauf an, worum es geht. Kommt doch sehr auf die Verhältnisse an, in denen man lebt. Die Schokolade nicht sofort in den Mund zu schieben, sondern abzuwarten, das ist noch vergleichsweise leicht, auch wenn es Disziplin erfordert. Auf etwas zu warten, wenn man es dringend braucht und noch nicht sehen kann, wann es kommen mag, und ob es überhaupt je kommen wird, ist da schon eine andere Herausforderung. Wenn es wirklich um etwas geht, dann kann einen manches Warten hart ankommen.

Es kann Manches ausstehen und ausbleiben, was man sich sehnlichst wünscht, was man unbedingt zu brauchen meint.  Dann geduldig zu sein, warten zu können bis die Zeit erfüllt ist, kann eine Qual sein. Und einen tief verunsichern. Gerade, wenn es um Herzenswünsche geht, eben um solche, die man mit Geld nicht kaufen, die, deren Erfüllung man selbst nicht besorgen kann, gilt das: die Liebe eines anderen Menschen zu erfahren, wenn man wirklich einsam ist und daran zu verzweifeln droht; die Sehnsucht nach einem eigenen Kind, wenn es sich einfach nicht einstellen will; die Hoffnung, wieder gesund zu werden in schwerer Krankheit;   wieder ins Leben zurückzufinden nach dem Tod eines geliebten Menschen, Vergebung zu erfahren von jemandem, den man wirklich verletzt hat, obwohl man ihn liebt, Recht zu bekommen, Gerechtigkeit zu erfahren nach erlittenem tiefen Unrecht, um nur ein paar zu nennen.

„Seid geduldig“, sagt er, als sei es so einfach.

Manchmal kann einem die Zeit ganz schon lang werden und die Puste ausgehen.

Seid geduldig! Stärkt eure Herzen“, sagt er. Und hier ist es wichtig, genau hinzuhören, den Text richtig zu lesen. Er sagt nicht: Wartet ab! Trinkt Tee! Er sagt nicht: legt einfach die Hände in den Schoß und lasst Gott mal machen, wird schon. Im Gegenteil. „Hängt Euch rein“, sagt er.

Er vergleicht die Arbeit der Christenmenschen an diesem Punkt mit der eines Bauern. Der seinem Handwerk nachgeht. Der sein Bestes gibt, um den Boden zu bestellen, die Aussaat vorzubereiten, auszusäen. Und dann – weil es gar nicht anders geht, weil nichts anderes etwas bewegen könnte - getrost abwartet, abwarten muss sozusagen, wie sie aufgeht, die Saat und wie sie Frucht bringt zu ihrer Zeit. Das Zauberwort heißt nicht sofort. Es gibt überhaupt kein Zauberwort, mit dem wir hier etwas bewegen könnten, irgend etwas schneller seinem Ziel entgegenbrächten.

Eberhard Jüngel, der Tübinger Theologe hat einmal gesagt : „Geduld ist der lange Atem der Leidenschaft, nicht leidenschaftslose Resignation oder Ergebenheit.“

Vermutlich kennen Sie alle das berühmte Gebet :

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Im Grunde geht es genau darum. Darum, die Geister zu unterscheiden.

Und dann, wenn ich erkenne, was sich zur Zeit nur hinnehmen lässt, wo mein geduldiges Warten gefordert ist, sich dem nicht zu widersetzen, auch wenn das schwer ist, gerade wenn das schwer ist. Sondern es im Gegenteil als solches anzunehmen. Und mit dem langen Atem der Leidenschaft zu tun, was ich tun kann:  Gott ins Kalkül zu ziehen nämlich, wo meine Möglichkeiten an ihre Grenzen kommen und es ihm anheim zu geben. Gerade wenn einem das Leben den Atem verschlägt, gerade dann, wenn meine Nehmerqualitäten gefragt sind und es mir schwer wird damit, nicht zu früh die Arbeit aufzustecken, die Saat, die noch im Boden ist, nicht zu früh dranzugeben, sondern sich in Geduld zu üben, im langen Atem der Leidenschaft.

Weil die Ernte uns verheißen ist, das Ankommen, das Heilwerden, das Neu Anfangen dürfen, das Gesegnet sein. Vielleicht ganz anders als wir es uns vorstellen können heute. Vielleicht ganz anders als wir es uns heute ersehnen. Vielleicht manchmal auch so, dass wir selber andere werden über diesem Warten und das Wunder der Verwandlung innen geschieht.

Fest steht nur : Gott selber bürgt für das Aufgehen der Saat und dafür, dass sie Frucht bringt.

Weil uns Zukunft verheißen ist und dass das, was jetzt noch keinen Ort hat – noch utopisch ist-, was jetzt noch nicht geboren ist, doch in diese Welt kommen wird, weil Gott es so will.

Im Advent gehen wir wieder auf diese Verheißung zu. In tiefster Nacht wird der geboren, in dem das Heil dieser Welt anbricht, der uns den Himmel auf die Erde holt.

Hans Dieter Hüsch hat dieser leidenschaftlichen Geduld, die unsere ganze Kraft brauchen kann, einmal wunderbar das Wort geredet. Er hat den Ort beschrieben, der noch nicht da ist, aber kommen wird.

Utopie.

Ich seh´ ein Land mit neuen Bäumen. Ich seh´ ein Haus aus grünem Strauch. Und einen Fluß mit flinken Fischen. Und einen Himmel aus Hortensien seh´ ich auch. Ich seh´ ein Licht von Unschuld weiß. Und einen Berg, der unberührt. Im Tal des Friedens geht ein junger Schäfer, der alle Tiere in die Freiheit führt. Ich hör´ ein Herz, das tapfer schlägt, in einem Menschen, den es noch nicht gibt, doch dessen Ankunft mich schon jetzt bewegt. Weil er erscheint und seine Feinde liebt. Das ist die Zeit, die ich nicht mehr erlebe. Das ist die Welt, die nicht von uns´rer Welt. Sie ist aus fein gesponnenem Gewebe, und Freunde, glaubt und seht: sie hält. Das ist das Land, nach dem ich mich so sehne. Das mir durch Kopf und Körper schwimmt, mein Sterbenswort und meine Lebenskantilene, dass jeder jeden in die Arme nimmt.

(Hanns Dieter Hüsch, in: Das Schwere leicht gesagt)

Darum : Tut, was in eurer Macht steht. Bestellt euer Feld. Lasst euch unverzagt in Dienst nehmen von Gott für euer Leben und für diese Welt, so wie sie noch immer ist und haltet mit ihm die Hoffnung für ein anderes Morgen fest, für Euer Leben und für diese Welt. Tretet ein für Frieden und Gerechtigkeit mit Herzen, Mund und Händen, wie Jesus es uns gelehrt hat. Übt Liebe, wie er sie unter uns Menschen wohnen ließ.

Gebt euer Bestes inmitten aller Sehnsucht nach dem, was anders werden muss. Und dann lasst es los und legt es Gott in die Hände. Geduldig und voller Vertrauen. „Gott kommt manchmal ganz leise. Gott kommt manchmal ganz still. Kommt auf seine Weise. Wann er kommen will“, singen wir beim Familiengottesdienst an jedem Sonntag. Um uns daran zu erinnern, achtsam zu sein, damit wir ihn nicht verpassen, wenn er kommt. Amen.

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