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10. Sonntag nach Trinitatis - Römer 9, 1-5
10. Sonntag nach Trinitatis - Römer 9, 1-5
# Archiv Predigten 2015
10. Sonntag nach Trinitatis - Römer 9, 1-5
Der für den heutigen Israel-Sonntag vorgeschlagenen Predigttext steht im Brief des Apostels Paulus an die Römer :
Paulus schreibt : Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, denen auch die Väter gehören, und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen. (Römer 9,1-5).
Liebe Gemeinde, gerade ist ein heftiger Streit entbrannt um die Frage, ob das sogenannte Alte Testament für uns Christinnen und Christen eigentlich noch eine Bedeutung habe, ob man es nicht eigentlich aus dem Kanon - also den als verbindlich angesehenen Schriften der Christenheit- herausnehmen müsse. Es sei schließlich das Glaubensbuch der Juden, mit einer ganz eigenen Erwählungs-Theologie dieses Volkes, die wir als Christinnen und Christen nicht einfach okkupieren könnten und die andererseits durch die neutestamentlichen Aussagen zu Jesus Christus noch einmal ganz anders überboten sei. Der Berliner Systematik-Professor Notger Slenczka hat diese These vor wenigen Monaten aufgestellt und damit die theologische Fachwelt in Aufruhr versetzt und in eine z.T. sehr aufgebrachten Diskussion geführt. Slenszka schlägt vor, das Alte Testament als ein im Neuen Testament lediglich „aufgenommenes und neu gedeutetes Zeugnis, als Ausdruck vor- und außerchristlicher Gotteserfahrung“ zu verstehen. Und dann dieser Text dazu am Israelsonntag unserer Kirche, der uns traditionell die Frage nach genau diesem Verhältnis stellt und das in unserer Geschichte so oft schwierige Miteinander beider Religionen thematisiert. Schwierig vor allem deshalb, weil wir alle wissen, wie viel Brisanz in diesem Verhältnis steckt und was es alles schon an unsäglichem Antijudaismus in der Kirche gegeben hat, wie viel Hochmut auf christlicher Seite, wie viel Judenmission aus dem Bewusstsein der eigenen Überlegenheit, wie viel Abwertung des Jüdischen gegenüber dem Christlichen. Da hinein also Paulus, eine Größe im Christentum, ein geborener Jude, ein gelehrter Pharisäer, ein Konvertit der ersten Stunde. Der selber aus dem erwählten Volk Gottes stammt und in dieser Tradition aufgewachsen und unterrichtet wurde. Der selber eine tiefe Wandlung seines Glaubens erfahren hat vor Damaskus (vom Christenverfolger der ersten Stunde, dem das Kreuz und seine „Verherrlichung“ Anstoß und Ärgernis und Gotteslästerung war, hin zum glühenden Anhänger des Christus, obwohl er Jesus zu dessen Lebzeiten gar nicht begegnet ist). Einer, der das Judentum und seine Traditionen, seinen Glauben und seine Lieder, seine Texte und seine Bräuche kennt wie kein zweiter und der nicht bereit ist, dies antijüdischer Propaganda zu opfern. Der daran leidet, dass es unterschiedliche Wege gegeben hat, dass das Judentum in diesem Jesus Christus nicht seinen Messias erkennen kann, den er, Paulus, den wir in ihm glauben. Er besteht darauf, dass den Juden, „die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch… die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, ... denen auch die Väter gehören, und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch.“ Keine Infragestellung der besonderen Stellung Israels, der Erwählung Gottes, sondern eine Bestätigung. Ja, Israel ist und bleibt der Augapfel Gottes!
Richard Rohr erzählt gern die Anekdote, dass es immer wieder „fromme“ Christen gibt, die sich bei seinem Bischof darüber beschweren, dass er nicht rechtgläubig sei, weil er in seinen Vorlesungen erzählen würde, Jesus sei kein Katholik gewesen. Er behaupte doch tatsächlich, dass Jesus ein Jude war und kein Christ.
Schon diese simple historische Wahrheit ist für manche Menschen eine Zumutung und ein Stein des Anstoßes. Natürlich war er Jude, natürlich ist er aufgewachsen in den Traditionen dieses Volkes und seiner Religion. Und als Jude ist er auch gestorben. Natürlich. Dass er ihre Gebote an bestimmten Stellen bewusst übertreten hat, spricht nicht dagegen, sondern dafür. „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz abzuschaffen“, hat er gesagt“, „sondern es zu erfüllen.“ Es ist eine himmelschreiende Vereinfachung, das Judentum auf Werkgerechtigkeit und Gebotsgehorsam zu reduzieren und dann mit aus den neutestamentlichen Schriften gewonnenen „allein aus Glauben, allein aus Gnade, allein durch Jesus Christus“ als der besseren Glaubensvariante zu ersetzen. So simpel ist es nicht und ist es nie gewesen, bei weitem nicht. Auch im Alten Testament ist Gott ein barmherziger Gott, wieder und wieder, auch im Alten Testament ist Gott einer, der Gnade vor Recht ergehen lässt, wieder und wieder. Die ganze Geschichte Israels legt Zeugnis davon ab. Und Jesus leugnet das nicht. Im Gegenteil, er macht es zu seiner Zeit noch einmal zum Anfassen deutlich. Er offenbart genau diesen Gott auf seinem ganzen Weg. Dass er die Exklusivität dieses Glaubens geöffnet hat, gehört zu ihm und dem, was er von seinem Vater im Himmel offenbart hat. Dem Judentum selbst hält er den Spiegel von Gottes Barmherzigkeit und Liebe vor und fordert es auf, weiterzugehen, ernst zu machen mit dem Gebot der Nächstenliebe, auch außerhalb der eigenen Religion. „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das hat er doch nicht erfunden. Das gehört zu seiner Tradition, zum Judentum. Er hat es weit gemacht und seine Grenzen geöffnet. Er war sozusagen ein Reformator. Von innen. Anders geht es nämlich gar nicht. Ich glaube, Paulus hat genau das verstanden. Denn diese Reformation hat auch ihn im Mark erwischt und sein Leben komplett verändert. Deshalb tut es ihm weh, dass seine Religion das nicht so sieht, da nicht mitgeht. Paulus würde persönlich alles drangeben, damit Israel auch zu diesem Schluss kommt. Und er leidet daran, dass sie andere Schlüsse ziehen. Und beharrt darauf : Was Gott seinem Volk gegeben hat, gehört ihm für immer, unabhängig davon, ob es sich zu Christus bekennt oder nicht. Sie sind und sie bleiben wahre Kinder Gottes von Abraham an, sie haben eine innige Beziehung zu Gott wie sonst keiner. Wenn wir uns als „Kinder Gottes" bezeichnen, so nur von ihnen her. Ihnen gehört die Herrlichkeit Gottes: Wie sich Gott dem Mose zeigte, so ist das ganze Volk Israel der Herrlichkeit Gottes auf dem Weg seiner Geschichte immer wieder begegnet. Ihnen gehört der Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat. Komme, was wolle: Gott hat sich an sie gebunden und bleibt seinem Volk treu. Und wenn wir Christen uns im Bund mit Gott glauben, dann nicht, weil wir an die Stelle Israels getreten wären, sondern weil wir durch Jesus Christus in diesen Bund Gottes mit seinem Volk hinein genommen sind. Ihnen gehört das Gesetz: Die Torah, die guten Weisungen Gottes, die Leben helfen, Israel hat sie als erste erfahren. Ihnen gehört der Gottesdienst: Sie beten und singen die Psalmen, lesen die Torah, sprechen das Bekenntnis ihres Glaubens. Unser Gottesdienst ist bis in viele Einzelheiten hinein aus dem jüdischen Synagogen-Gottesdienst gewachsen. Ihnen gehört die Verheißung: Weil Gott treu ist und es bleibt. Gott macht seine Verheißungen nicht rückgängig. Wenn es so ist, dann lädt uns der Israel-Sonntag ein, das Judentum zu achten und zu ehren, für Israel um seiner selbst willen zu beten, vom Judentum zu lernen für unseren eigenen Glauben. Wie die Stiftung Weltethos es tut, auch hier bei uns. Weil unser Glaube hier seine Wurzeln hat. Auch daran erinnert Paulus uns : „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich." Wenn wir an Jesus, den Christus Gottes glauben, dann bekennen wir uns zu dem Juden Jesus, der die Völker der Welt mit dem Volk Gottes, mit Israel, verbindet. Wir vertrauen darauf, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist, um sich allen Menschen zu zeigen, nicht nur Israel. Um sich als Herkunft und Heimat aller Menschen bekannt zu machen, also auch Nicht-Juden in seinen Bund mit hinein zu nehmen. Und weil wir durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk mit hinein genommen sind, darum und nur von da her hat auch für uns all das, wovon Paulus spricht, Bedeutung : der Bund, die Torah, der Gottesdienst, die Verheißungen. Das sehe ich anders als Slenczka. Wir haben ein gemeinsames Buch, eine gemeinsame Urkunde des Glaubens und das ist die hebräische Bibel, heilige Schrift der Juden und Teil der heiligen Schrift der christlichen Gemeinden von Anfang an. Wir warten nicht mehr auf den Messias, wir Christen glauben, dass Jesus dieser Retter ist. Das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Sohn Gottes - das unterscheidet uns wirklich von unseren jüdischen Geschwistern. Wir sind überzeugt: Gott hat sich in diesem Menschen der ganzen Welt offenbart, damit alle Menschen einen Zugang zu Gott finden. Wir vertrauen darauf, dass Gott sich in Jesus Christus der ganzen Welt zugesagt und sich mit allen Menschen verbündet hat - so wie zuerst seinem Volk Israel. Wir erkennen in der Torah und bei den Propheten schon Hinweise auf ihn. Das kann man anders sehen und die Juden sehen es anders. Wer sich nicht zu Christus als dem Sohn Gottes bekennt, der wird all das, was uns daran wichtig ist, nicht nachvollziehen können. Das ist zu respektieren. Und doch hängen wir untrennbar mit dem Volk Gottes zusammen. Auf unterschiedlichen Wegen bezeugen wir beide, Christen und Juden Gottes Zusage und Verheißung für dieser Welt. Wir sind seit Jesus Christus auch Gottes Kinder und so feiern wir beide- Juden und Christen- in seinem Namen und zu seinem Lob Gottesdienst, wenn auch an unterschiedlichen Tagen. Wie schön, dass es hier bei uns in der Gemeinde längst diese gute Tradition gibt, uns gelassen und neugierig im besten Sinne des Wortes zu begegnen, uns zu Festen in unseren Gotteshäusern zu besuchen bei besonderen Anlässen. Es geht nicht darum, die Unterschiede zu nivellieren, überhaupt nicht, gerade nicht. Da fängt der Diskurs ja erst an, wo wir verschieden sind und uns trotzdem begegnen wollen, neugierig bleiben auf den Weg des anderen und seine Geschichte, seinen Glauben, seine Tradition. Bereit, etwas dazuzulernen, bereit, etwas zu zeigen von dem, was wir selber lieben (so hat Steffensky Mission einmal beschrieben und das ist eigentlich auch die einzige Weise, in der ich dieses Wort heute verstehen kann). Uns verbindet so viel mehr mit unseren jüdischen Geschwistern als uns trennt. Der Gott, an den wir beide glauben, hat einen Auftrag für diese Welt und lädt jeden Menschen guten Willens dazu ein, diesen Auftrag umzusetzen. Machen wir seine Größe und die Weite seiner Liebe nicht klein. Üben wir uns lieber darin, diese Liebe sichtbar werden zu lassen in unserem Leben und in unserem Miteinander; denn damit ehren wir ihn, den wir beide Vater nennen, am meisten. Amen.
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