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2. Sonntag nach Trinitatis - Lukas 14, 15-24
2. Sonntag nach Trinitatis - Lukas 14, 15-24
# Archiv Predigten 2015
2. Sonntag nach Trinitatis - Lukas 14, 15-24
Liebe Schwestern und Brüder, heute könnte das nicht mehr passieren! – behaupte ich... Heute arbeitet man mit „save the date“, schickt also lange vor dem Termin schon mal eine Nachricht rum, in der man bittet, den Termin zu reservieren, eben „save the date“. Und wenn es dann soweit ist, müssten doch alle Zeit haben. Und selbst wenn kurzfristig etwas dazwischen kommt, dann bedient man sich eben des „multi tasking“, also der Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun und an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Eine Fähigkeit, die die Theologen früher nur Gott zuschrieben, aber heute können wir das auch. Und es ist doch gar nicht einzusehen, wieso man nicht den Acker oder die neu gekauften Ochsen ansehen gehen und anschließend ein bisschen später noch zu der Feier dazustoßen kann. Und das mit dem Frischverheiratetsein, na, dann geht man eben am frühen Abend zu der Feier und verschwindet irgendwann, dann hat man doch noch was vom Abend zu zweit.
Wie gesagt, heute ist das doch alles kein Problem und könnte das nicht mehr passieren... oder doch?
Gestatten Sie mir, einen ungewohnten Blick auf dieses Gleichnis zu werfen. Denn normalerweise ist ja klar, wer hier die Schlechten und die Guten sind. Ich möchte aber ein Plädoyer für die Vielbeschäftigten halten, die hier so schlecht wegkommen. Denn was ich vor mir sehe, wenn ich dieses Gleichnis ansehe, ist das Hamsterrad, in dem wir heute – mehr oder weniger zumindest die meisten von uns – laufen.
Manchmal erschließt uns Theologen der Blick in das griechische Original den Text noch genauer, und in diesem Fall gibt es beim Ansehen des Ackers im Original die wunderbare Wendung „denn ich stehe unter dem Zwang, den Acker anzusehen“... was in den deutschen Übersetzungen meist zu einem flachen „muss den Acker ansehen“ wird. Bei dieser hübschen Wendung „stehe unter dem Zwang“ hake ich ein, weil sie sofort lauter Bilder meines Alltags vor meinem inneren Auge vorbeipurzeln lässt. Die „Zwänge“, unter denen wir stehen! Von Sachzwängen sprechen wir. Zu einem „Unwort“ ist mittlerweile der Kanzlerinausspruch von der Alternativlosigkeit geworden. Dahinter steht nicht nur eine immer komplexere Welt, die wir kaum noch genügend durchschauen, um selber Alternativen entwickeln zu können. Auch der wirtschaftliche Druck, der Druck am Arbeitsplatz, die Zeitnot; und die Zeitnot verfolgt ja alle, selbst noch die Kranken und Alten, wenn sie merken, wie wenig Zeit Schwestern und Pfleger für sie haben, weil sie Arbeitsmodule einhalten und dokumentieren müssen.
Dieses Hamsterrad scheint unentrinnbar zu sein. Und ich möchte die, die dann nicht alles schaffen, die eine Einladung ausschlagen oder auch einmal kurzfristig und mit schlechtem Gewissen kapitulieren und sagen: ‚Das schaff ich jetzt nicht auch noch’ – die möchte ich doch vor Verurteilung in Schutz nehmen. Das sind nicht einfach die Schlechten, sondern doch wohl überwiegend Menschen, die ihren Alltag, ihre Arbeit und ihre Pflichten und auch ihre Mitmenschen ernst nehmen und ihre Sache gut machen wollen. Und dann geht eben nicht alles.
Tut Jesus diesen Menschen, also auch uns, Unrecht mit seinem Gleichnis? Ich weiß es nicht. Ich möchte mich in die Geschichte erst einmal weiter vertiefen. Wo, wann und wem erzählt Jesus das Gleichnis?
Am Anfang des Kapitels heißt es: „Und es begab sich, dass Jesus an einem Sabbat in das Haus eines Oberen der Pharisäer kam, das Brot zu essen, und sie belauerten ihn.“ Also: Ein Gastmahl am Sabbat im Hause eines Mannes, der der pharisäischen Richtung seiner Religion folgte. Die Stimmung offenbar nicht sehr freundlich. Man belauert Jesus, wahrscheinlich wartet man darauf, dass er gegen ein Sabbatgebot verstößt.
Und tatsächlich sitzt in der Runde ein Mensch, der war wassersüchtig. Jesus fragt die Pharisäer: „Ist’s erlaubt am Sabbat zu heilen oder nicht?“ Er heilt den Kranken, und die Stimmung verschlechtert sich weiter, weil sie ihm nicht vorwerfen können, am Sabbat etwas Gutes getan zu haben. Dann geht ein Streit um die besten Plätze los. Und Jesus sagt: „Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.“ Die Stimmung sinkt weiter.
Jesus scheint in Konfrontationslaune zu sein, jedenfalls geht er den Gastgeber jetzt frontal an und sagt: Wenn du ein Gastmahl machst, so lade nicht deine Verwandten oder Freunde ein oder Reiche, die es dir vergelten können, sondern Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde; dann wirst du selig sein, denn es wird dir bei der Auferstehung vergolten werden. Damit greift er die Vorstellungswelt der Pharisäer auf, denn sie lehrten, anders als die Sadduzäer, die Auferstehung am Ende der Zeiten.
Prompt geht darauf auch einer der Anwesenden ein und sagt ganz fromm: „Selig, wer das Brot im Reiche Gottes isst!“ Doch auch dieser Mann muss sich von Jesus zurechtweisen lassen. Denn nun erzählt Jesus dieses Gleichnis und kommt zu dem Schluss: All die Leute, die eigentlich zu Gott an den Tisch eingeladen sind, aber Ausreden und Entschuldigungen vorbringen, die werden nie wieder eingeladen. Sondern die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen, die werden an Gottes Tisch sitzen.
Eine richtige Eskalationsspirale! Jeder kriegt von Jesus sein Fett weg, bis dahin, dass er dem Gastgeber sagt: Eigentlich hast du die falschen Leute eingeladen. Was für ein verkorkster Abend, und die Anwesenden werden gedacht haben: Wir wissen schon, wen wir nie wieder einladen...
Kann es Jesus niemand recht machen? Was will er eigentlich, worum geht es ihm in diesen verschiedenen Stufen der Eskalation? Um arm und reich? Um fromm und nicht fromm? Um ehrlich und heuchlerisch? All diese Themen blitzen auf. Darum geht es ihm, aber noch um etwas dahinter.
Als durchgehendes Thema höre ich: Erkenne, was wesentlich ist, und dann tu, was die Liebe gebietet. Ob die Sabbatgebote oder die Höflichkeitsregeln bei Tisch; ob das Ansammeln guter Taten oder das Laufen im Hamsterrad der Alltagsgeschäfte. Jesus ruft aus all dem heraus, ruft uns in eine Distanz zu unserem Leben. Aus dieser Distanz sollen wir gucken, was wirklich wesentlich ist, das muss nicht viel und schon gar nicht alles sein, aber das, was Gottes Liebe entspricht und gut für die Menschen ist.
Auch wenn Jesus uns mit seinem Gleichnis schilt; im Grunde ist das heilsam und befreiend, jedenfalls empfinde ich es so. Denn wir leiden ja selber darunter, viel zu viel zu tun und das Wesentliche nicht zu fassen zu bekommen. Wir sind ja selber Gefangene in dem Hamsterrad. Da herausgerufen zu werden, ist zwar Kritik an uns, ja, aber eigentlich eine, über die wir nur froh sein können. „Save the date“ und „multi tasking“ helfen uns zu überleben, aber sie machen uns auf lange Sicht kaputt. Und selbst unser guter Wille und unsere guten Taten können zu Teilen des Hamsterrades werden. Wenn aus einer guten Idee erst ein „Projekt“ geworden ist, dann laufen wir immer Gefahr, dass am Ende einige wenige damit belastet sind und überfordert werden. Und manches gute Projekt ist am Ende so kompliziert geworden und hat sich so verselbständigt, dass man fragen muss: Steht eigentlich noch der Mensch im Mittelpunkt? Bei einigen Projekten kann man fragen, ob das überhaupt beabsichtigt war: Dient ein Projekt, das Flüchtlingen auf dem Mittelmeer helfen soll, wirklich den Flüchtlingen, oder wird es benutzt, um sie abzuschrecken und fernzuhalten? Dienen Gesetze, die unserer Sicherheit dienen sollen, wirklich unserer Sicherheit, oder machen sie uns zu Objekten der Überwachung? Am Ende immer die Frage: Steht wirklich der Mensch im Mittelpunkt?
Jesus gib allen eins mit, damals beim Gastmahl, und uns nicht anders. Das heißt aber nicht, dass man es Jesus nicht recht machen kann. Diese Rolle überlässt er dem Teufel. Das hat Goethe in seinem „Faust“ im „Prolog im Himmel“ so schön gedichtet: Gott zum Teufel: Hast du mir weiter nichts zu sagen? Kommst du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht? Mephisto: Nein Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht. Nur dem Teufel sind wir ewig nicht recht. Gott sind wir recht, weil er uns sich recht macht. Das ist die berühmte „Rechtfertigung aus Glauben“. Dazu müssen wir nichts tun, als auf Gott vertrauen. Aber die Stimme des Evangeliums ist mit keiner anderen Stimme identisch, nicht mit unseren Argumenten, nicht mit unserem guten Willen. Die Stimme des Evangeliums steht zu allem, was uns einfällt, immer noch einmal quer, und das ist gut so, und ruft uns heraus aus dem Hamsterrad, aus Höflichkeitsfloskeln, Argumentationsketten und aus sich verselbständigen Regeln und sagt: ‚Erkenne, was wesentlich ist, und dann tu, was die Liebe gebietet.’ Amen
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