Palmarum - Matthäus 5 - 7

Palmarum - Matthäus 5 - 7

Palmarum - Matthäus 5 - 7

# Archiv Predigten 2015

Palmarum - Matthäus 5 - 7

Liebe Gemeinde,

in der Vorbereitung auf meine heutige Predigt, die meine erste ist, war schnell klar, dass das Thema meiner Predigt – als Schulleiter – eines sein muss, welches auch mit Schule zu tun hat. Also möchte ich Sie auf eine kurze Reise mitnehmen. Eine Reise zu zwei Orten, an denen Menschen etwas lernen. Der erste der beiden Orte ist – natürlich – ein Klassenzimmer. Ein Klassenzimmer in unserer Schule im Hessepark. Ich bin eingeladen, mir den Unterricht anzusehen. Sachunterricht – Thema „Das Hühnerei“. Im Stuhlkreis sitzen 24 Schülerinnen und Schüler und hören gespannt der Lehrerin zu. Es ist eine unserer typischen Grundschulklassen. 24 Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten Abschlussperspektiven. Alle diese Schülerinnen und Schüler werden in ihrem weiteren Schulleben je unterschiedliche Wege einschlagen, einige von ihnen werden unsere Schule nach neun oder zehn Jahren verlassen, einige werden irgendwann unsere Oberstufe besuchen, alle haben unterschiedliche Interessen, Motivationen und Fähigkeiten, einige haben einen sogenannten sonderpädagogischen Förderbedarf, wieder andere werden vielleicht später an unserer Schule ihr Abitur machen. Alle aber haben – das wird mir schnell klar – sichtbar Freude am Lernen.

Mir fällt ein Junge auf. D.h. eigentlich fällt er mir gar nicht auf, denn er verhält sich überhaupt nicht auffällig. Nein, mir fällt eher seine stille und aufmerksame Art auf, wie er dem Geschehen im Stuhlkreis folgt, wie er gespannt der Lehrerin zuhört, ihren Fragen, den Beiträgen der anderen Schüler, der Aufgabenstellung. Mir fällt seine hilfsbereite Art auf, als es darum geht, Arbeitsblätter an die Schüler zu verteilen, seine Verantwortung, die er für die Gruppe und für andere Schüler übernimmt, etwa als einem Mädchen ihr Blätterstapel aus der Hand fällt und er seine Runde kurz unterbricht, um zunächst seiner Mitschülerin zu helfen, die Papiere wieder aufzusammeln.

Als ich das Lehrerteam anschließend eher zufällig auf diesen Schüler anspreche, erfahre ich erstaunliches. Der Schüler ist erst seit etwa einem halben Jahr an unserer Schule in dieser Grundschulklasse. Es sei am Anfang etwas schwierig gewesen, nun jedoch blühe er richtig auf. Ich bin neugierig und werfe einen Blick in seine Schülerakte, die ich mir aus unserem Schulbüro hole. Hier lese ich zu meiner Verwunderung in den letzten Zeugnissen: verhält sich unachtsam, setzt eigene Interessen auf Kosten anderer durch, tut anderen Kinder weh, kann sich nur schwer an die Regeln halten, erhält ein Pausenverbot. Im Unterricht falle es ihm schwer, sich für längere Zeit ruhig zu verhalten, er störe durch häufiges Herumlaufen in der Klasse oder durch laute Bemerkungen, er arbeite nicht immer sorgfältig, eher zügig und so, dass er möglichst schnell fertig ist.

Gut, in der Arbeitsphase fiel auch mir später auf, dass er die Aufgabenstellung zwar gut versteht, aber dennoch lieber eigene Lösungswege verfolgt, dass es auch um seine Sorgfalt nicht immer zum Besten bestellt ist, dass er aber neugierig und intensiv forscht, als es etwa darum geht, mit der Lupe das Hühnerei zu untersuchen. Oder sein Gewicht zu ermitteln, seine Länge und Breite. Und ich erfahre, dass er zuhause weiter emsig und ausdauernd lernt, obwohl es an unserer Schule gar keine Hausaufgaben gibt.

Ob wir noch Gesprächsbedarf hätten, ob inzwischen eine Diagnose gestellt wurde, werden wir von den Kollegen der anderen Schule gefragt. Wir bedanken uns ehrlich und verneinen das. Nein, der Schüler nimmt wie selbstverständlich am Schulleben teil, ist geschätztes Mitglied in unserer kleinen bunten Schulgemeinschaft. Er blüht auf – so wie er ist.

Was ist da in der Zwischenzeit geschehen?

 

Ortswechsel:

An einem See sitzen Menschen. Es sind viele Menschen, die da gekommen sind. Sie sind gekommen, um einem Mann zuzuhören. Der Mann klettert in ein Boot und rudert ein Stück vom Ufer weg, damit alle ihn gut sehen und ihm gut zuhören können. Der Mann erzählt den Menschen die Geschichte von einem Sämann. Ein Sämann sät Samen, damit aus diesen Samen Früchte wachsen. Der Sämann in dieser Geschichte also ging aus, um zu säen. Viele Samen fielen ihm an den Weg. Da kamen die Vögel und fraßen die Samen sogleich auf. Einiges fiel auf den steinigen Boden am Rande des Feldes. Dort war nicht viel Erde, so dass die Samen zwar bald aufgingen, die Wurzeln sich jedoch im flachen Boden nicht hielten und die Pflanzen verdorrten. Einige Samen fielen unter die Dornen. Die Dornen jedoch wuchsen in die Höhe und nahmen den Samen das Sonnenlicht. Etliche Samen jedoch fielen auf gutes Land und brachten dreißigfach, sechzigfach, hundertfach Frucht.

Der Mann, der den Menschen diese Geschichte erzählt, ist Jesus. Die Geschichte ist eines der Gleichnisse, die in den Evangelien des Markus, Matthäus und Lukas zu finden sind. Was möchte Jesus mit diesem Gleichnis zum Ausdruck bringen? Und kann dieses Gleichnis am Ende auch etwas mit Lernen, Wissensvermittlung und Schule zu tun haben?

Versuchen wir es einmal: Der Sämann sät Samen.

Getreidesamen werden auf das Feld gebracht und nun hofft der Bauer, dass die Saat aufgeht und bald eine reiche Ernte bringt. Wachstum und Gedeihen allerdings hängen von vielen Faktoren ab – Wetter, Boden, Saatgut, Räuber usw.

Der Sämann im Gleichnis sät das Wort.

Aber auch hier hängen Wachstum und Gedeihen von vielen Faktoren ab. Jesus selbst erklärt es seinen Jüngern: Dort, wo das Wort neben das Feld auf den Weg fällt, wird es sofort hinweggeweht. Dort wo das Wort auf felsigen Boden fällt, wird es zwar kurzzeitig mit Freude aufgenommen, trägt jedoch keine Wurzeln in sich. Andere wiederum hören zwar das Wort, aber Sorgen oder die kurzzeitigen Verführungen des Alltags ersticken es wie die Dornen auf dem Feld. „Jene aber“, sagt Jesus bei Markus 4, 20, „bei denen auf gutes Land gesät ist: die hören das Wort und nehmen’s an und bringen Frucht.“

Geht uns das in der Schule eigentlich ähnlich? Von welchen Faktoren hängen in der Schule Wachstum und Gedeihen ab? Sprechen wir Lehrer eigentlich auch von einer guten Ernte? Und was wäre dann eine gute Ernte? Ein guter Abschlussjahrgang, wie bei einem Winzer? Und woran bemäße sich ein guter Abschlussjahrgang dann? An den guten Noten, die die Schüler erreichen? Daran, dass sie am Ende ihr Abitur erhalten? Aber bitte schön, nicht weniger? Dass es immer geordnet und diszipliniert im Klassenzimmer zugeht. Dass die Schüler immer das und nur das lernen, was sie in fertig verpackten und auch für die Eltern gut nachvollziehbaren Häppchen serviert bekommen? Dass es in der Schule ganz genauso so zugeht, wie es der Lehrplan vorsieht? Dass wir gerne eine vielfältige Schulgemeinschaft sind, aber bitte so, dass mein Kind in Ruhe sein Fachwissen anhäufen kann? Und dass dieser vermeintliche Wissenszuwachs für alle Beteiligten stets unmittelbar sichtbar und kontrollierbar ist?

Ich glaube, nicht nur mein kurz geschildertes Beispiel zeigt, das Lernen gerade so nicht funktioniert. Ich könnte Ihnen hundert Beispiele nennen, die zeigen, dass Lernen wirklich alles andere als trivial ist, Beispiele, die wie dieses zeigen, dass auch das Klassenzimmer mitunter ein schwer zu bewirtschaftender Boden ist, dass Schule offenbar mehr bieten muss als sich ausschließlich auf das Vermitteln von Wissen zu konzentrieren. Dass es für die Schüler auf mehr ankommt, als kurzzeitig einen Lernstoff zu verinnerlichen und diesen vielleicht in einer Prüfung zu reproduzieren. Dass sich schulische Erfolge manchmal nur schwer in Noten und Zeugnissen ausdrücken lassen. Dass Aufmerksamkeit, Interesse, Passion, Umsicht, Achtsamkeit mehr voraussetzen als das Abarbeiten von Rahmenplänen.

Worauf aber kommt es dann an? Wie muss der Boden beschaffen sein, damit die Schüler nicht nur kurzzeitig und kurzfristig sichtbar etwas lernen, sondern dauerhaft und für sich aufblühen?

Mit dieser Frage haben wir uns in der Schule im vergangenen Schuljahr intensiv auseinandergesetzt. Wir haben Leitsätze erarbeitet und uns verständigt, worauf es uns im Kern unserer pädagogischen Arbeit ankommt. Einig waren wir uns schnell bei folgendem:

Bildung ist keine Ware, die ein Schüler passiv und leidenschaftslos erhält. Bildung ist etwas, was der Schüler ganz persönlich, für sich, ergreifen muss. Bildung muss existenziell berühren, sie muss den Schüler mithin in seiner ganz konkreten Gegenwart betreffen. Das hat eine ganze Menge mit Passion und Leidenschaft zu tun und auch damit, dass man sich wohlfühlt, dort, wo man lernt, dass man sich gesehen und wahrgenommen fühlt, als Individuum, mit den eigenen Stärken und Schwächen. Und dass man immer wieder vermittelt bekommt – so wie ich bin, so bin ich in Ordnung. Und dennoch bleiben die einzelnen Lernwege manchmal verworren. Manchmal bleiben sie uns Lehrern auch unverständlich. Manchmal brauchen sie Zeit. Viel Zeit. Und Vertrauen. Vertrauen in die Schule und – wichtiger noch – in die Schüler. Immer aber sind die Lernwege unvorhersehbar und entwicklungsoffen. Nicht immer wird es dann das Abitur. Und auch das ist gut und richtig so.

Die große Herausforderung besteht darin, diese naturgemäß völlig unterschiedlichen Wege, Interessen, Leidenschaften und Fähigkeiten jeden Tag im Klassenzimmer neu zusammenzuführen und guten Unterricht für alle zu gestalten. Es muss meinen Kolleginnen und Kollegen immer wieder und jeden Tag aufs Neue gelingen, die Schüler in ihrer konkreten Existenz, für ihr Leben gerade heute zu berühren. Die Schüler möchten und müssen sich als Persönlichkeit erleben und entwickeln können, um jetzt und später stark im Leben zu stehen. Dabei gehen Prüfungen und dieses – nennen wir es: Lernen für das Leben nicht immer Hand in Hand. Um das zu verstehen, hilft uns das Gleichnis:

Das Lernen für eine Prüfung oder für das gute Zeugnis ist manchmal wie das Fallen der Saat auf steinigen Boden. Kurzzeitig erfolgreich, jedoch ohne Wurzel. Um nicht missverstanden zu werden – es wäre unredlich, gerade als reformpädagogische, evangelische Schule, nicht auf erfolgreiche Prüfungen und Abschlüsse hinzuarbeiten, sind diese doch in erster Linie die Türöffner für die Zeit nach der Schule. Und jeder Schüler wird am Ende bei uns ganz sicher den für ihn bestmöglichen Abschluss erhalten. Aber ich denke, eine Schule muss mehr bieten als das Vermitteln von Fachwissen. Es geht in unserer sogenannten Informationsgesellschaft, in der sich das Weltwissen unentwegt vervielfältigt, allemal darum, das Lernen zu lernen. Es geht darum, zu lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Ebenso ist es als Schule unser Auftrag, die Schüler auf das Leben in einer bunten und heterogenen Gesellschaft vorzubereiten. Menschen sind verschieden, und zwischen ihnen treten Konflikte auf. Es kommt zu Störungen der täglichen Routine. Aber wo kann ich das besser produktiv erlebbar machen als in einer bunten Gemeinschaft, wo bei Konflikten und Störungen gut unterstützt werden kann. Und es geht letztlich immer darum, den Schülern Selbstvertrauen und eine gute Selbsteinschätzung zu vermitteln. In einem unserer Leitsätze haben wir das so ausgedrückt:

„Wir wollen in unserem Unterricht neben der fachlichen Kompetenz gleichwertig auch Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz vermitteln.“

Das allerwichtigste aber ist uns dabei die Verpflichtung auf ein christliches Menschenbild: dass nämlich jeder Schüler unabhängig von seiner schulischen Leistung Wertschätzung, Anerkennung und Respekt erfährt. Dass nämlich die Schule den Menschen in den Vordergrund stellt und nicht seine schulische Leistung, seine Abschlussfähigkeit, seine Sorgfalt, sondern eben einfach menschlich ist. Denn erst wenn wir diese Menschlichkeit sicherstellen – und davon sind wir überzeugt – dann fällt der Samen auf einen guten Boden und blüht dreißig-, sechzig- und hundertfach. Amen

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